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Das Prinzip Hoffnung, Marktkommentar von Kai Johannsen

Frankfurt (ots)

Dass ein Krieg schon allein wegen des damit verbundenen menschlichen Leids so überflüssig wie nur irgendetwas ist, sollte vollkommen unstrittig sein. Das lehrt die Vergangenheit, und das lehrt auch der aktuelle Blick auf Europa seit dem 24. Februar. Von daher kann man nur hoffen, dass im asiatisch-pazifischen Raum die Vernunft bei zwei Supermächten Einzug hält und das Säbelrasseln Chinas rund um den Inselstaat Taiwan nicht in eine kriegerische Auseinandersetzung mit den USA mündet.

Derzeit sprechen die Chinesen von einem Militärmanöver - doch das allein weckt ebenfalls ungute Erinnerungen an den Februar dieses Jahres. Und keiner möchte sich ausmalen, wenn eintritt, was die Sorge von Militärexperten ist: Dass ein menschlicher Fehler oder ein technischer Defekt und damit eine fehlgeleitete Rakete, die dann doch auf Taiwan einschlägt, einen militärischen Gegenschlag mit unbekanntem Ausgang auslöst.

Diese Furcht ist längst auch auf den Finanzmärkten zu spüren, schließlich hinterlässt das Säbelrasseln schon Unsicherheit auf den Finanzmärkten genug und befeuerte dieser Tage damit die Flucht in die sicheren Häfen. Abzulesen ist das an den deutlich rückläufigen Renditen der Bundesanleihen, aber auch anderer Staatspapiere. Im kurzfristigen Bereich, also bei den zweijährigen Bundestiteln, ging es schon wieder bis auf 0,15 Prozent nach unten, womit die Nulllinie und damit die Negativrenditen wieder in Sichtweite kommen. Vor einigen Wochen erschien dieses Niveau so weit weg, dass man an ein Wiederreichen kaum denken konnte. Jetzt ist es wieder Realität geworden. Leider - muss man hinzufügen.

Sollte es doch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, dürfte die Flucht in die sicheren Staatsanleihen - allen voran in die Bundesanleihen, aber auch in die US-Staatstitel (Treasuries) - eine Fortsetzung erfahren. Es ist kaum vorstellbar, dass US-Staatsanleihen ihren Status als sicherer Hort für Investoren verlieren, selbst bei einer Einbeziehung der Vereinigten Staaten in einen Krieg. Dafür ist der Markt zu groß und werden die Papiere von zu vielen Investoren gehalten, angefangen von Banken über Assetmanager bis hin zu Pensions- und Staatsfonds sowie Unternehmen. Sie werden kaum alle die US-Papiere aus ihren Portfolios werfen. Und wenn, würde dies einen Staatsanleihe-Crash nie dagewesenen Ausmaßes auslösen.

Auch auf den Devisenmärkten würde ein Krieg zu spüren sein. Sichere Währungen wären gefragt. Dazu zählt auch der Euro. Aber auch das Pfund oder der Schweizer Franken dürften angesteuert werden. Bei den asiatischen Währungen wäre ein deutlicher Anstieg der Volatilität im ersten Schritt zu erwarten, der Neue Taiwan-Dollar könnte unter Abgabedruck geraten, weil die Wirtschaft infolge von Zerstörungen heftig in Mitleidenschaft gezogen würde. Und das bliebe auch nicht ohne Auswirkungen auf andere Volkswirtschaften - nicht nur im asiatisch-pazifischen Raum, sondern auch weit darüber hinaus, etwa in Europa. Schließlich ist Taiwan praktisch der Weltlieferant von Halbleitern. In etwa zwei Drittel des weltweiten Halbleiterangebots kommt von Herstellern aus Taiwan, womit das Land noch vor China und Südkorea liegt.

Angesichts der hohen Technisierungs- bzw. Digitalisierungsgrade von Wirtschaften kann man leicht erahnen, was eine entsprechend langanhaltende Lieferunterbrechung beziehungsweise ein Ausfall für viele Firmen - aber auch Banken - bedeuten würde. Die bekannten Lieferengpässe, die heute schon bestehen, würden sich intensivieren. Da die europäische Wirtschaft und nicht nur diese auf die Rezession zusteuert, könnte die wirtschaftliche Malaise noch intensiviert werden. Das bindet den Zentralbanken in ihrem restriktiveren geldpolitischen Kurs zwecks Eindämmung der Teuerungsschübe noch mehr die Hände. Erst in der abgelaufenen Woche hat die Bank of England erklärt, dass sie mit einem Abgleiten der britischen Wirtschaft in die Rezession rechnet, die das gesamte nächste Jahr Realität sein dürfte.

Auch an den Aktienmärkten würde ein Taiwan-Krieg Spuren hinterlassen. Zunächst ist hier an Firmen mit einem hohen Taiwan-Exposure zu denken. Aber ein Abgleiten der Wirtschaft in die Rezession, die manchem Experten gar nicht mehr vermeidbar erscheint, beinhaltet nun mal Auftragsrückgänge, Umsatzausfälle, Ertrags- und Gewinneinbrüche, und das geht durch die gesamte Wirtschaft. Nur wenige bleiben verschont. Das ist nicht gerade ein Umfeld, das die Attraktivität von Aktien steigert. Im Gegenteil. Hoffentlich wird dieses Szenario vermieden, möglich ist es derzeit noch. Es regiert das Prinzip Hoffnung.

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