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Börsen-Zeitung: Geiz ist geil auch an der Börse, Leitartikel von Bernd Wittkow

Frankfurt (ots)

De Liefde, der Dreimaster mit den gelben Segeln
und dem blauen Schriftzug „Postbank“, hat am Mainufer festgemacht. Er
ist auf seiner Fahrt von Bonn nach Frankfurt nicht gekentert. Aber
ans Ziel gelangte er nur dank einiger Kunstgriffe, um nicht zu sagen:
Tricks. Um unter den Brücken über Rhein und Main durchzukommen,
mussten die Masten immer wieder abgebaut werden. Fahrt nahm das
Schiff meist nicht durch den Wind, sondern mit Hilfe seines Motors
auf. Doch es fehlte nicht viel, und der Segler wäre im Niedrigwasser
auf Grund gelaufen.
Die Werbefahrt der „Liebe“ steht symbolisch für den Börsengang der
Postbank. Auch das Retailinstitut wird wohl, leicht verspätet, in
seinen Zielhafen Börse einlaufen. Aber die Reise, die lange
reibungslos verlief, geriet am Schluss zum Horrortrip. Auch für den –
an der Pannenserie schuldlosen – Börsenaspiranten und seine
Muttergesellschaft Deutsche Post war ein Vorankommen nur noch mit
Tricks möglich. Ihre Kunstgriffe und Hilfsmittel heißen reduzierte
Preisspanne, verlängerte Zeichnungsfrist, Umtauschanleihe. Nur so
kommt der Mindesterlös von 2,6 Mrd. Euro für knapp 50% an der
Postbank herein. Zwei Drittel des Platzierungsvolumens muss Post-
Chef Klaus Zumwinkel, der den wahren Wert der Tochter auf 6 Mrd. Euro
veranschlagt, zu einem aus seiner Sicht unangemessenen Preis abgeben.
Die gewichteten 31,50 Euro je Aktie für die ganze Transaktion sind
bislang ein Hoffnungswert. Die „innovative Struktur“ des
modifizierten Angebots mag dem Verkäufer keinen finanziellen Verlust
bringen. Aber sie bedeutet einen Verlust an Glaubwürdigkeit für
jemanden, der jegliche inhaltliche Änderung des Angebots zwei Wochen
lang allzu kategorisch ausgeschlossen hatte – übrigens für diesen
späten Zeitpunkt im unvollständigen Verkaufsprospekt auch juristisch
ausgeschlossen hatte.
Gewiss ist die nun beschlossene Modifizierung für die Post, vor
allem aber für die Postbank das kleinere Übel im Vergleich zu der
Alternative, das IPO ganz abzublasen. Ein Verzicht auf den Börsengang
– oder auch eine Verschiebung auf 2005 oder später – wäre
Postbank-intern als Niederlage empfunden worden und hätte zweifellos
als Leistungs- und Motivationsbremse auf die Mannschaft gewirkt, die
längst voll darauf getrimmt ist, ihre Anstrengungen und deren Erfolge
durch die Maßeinheit eigene Aktie bewertet und honoriert zu sehen.
Schon um nicht diese fatale Innenwirkung zu riskieren, mussten
sich Zumwinkel und Postbank-Chef Wulf von Schimmelmann in ihrem, so
der oberste Postmann, „harten Poker“ mit den internationalen
Investoren letztlich der Macht des Marktes beugen. Und dieser Markt
ist bei den aktuellen Kräfteverhältnissen ein Käufermarkt. Hatten
während des Hype der neunziger Jahre manche allen Ernstes ein Recht
auf Zuteilung bei Neuemissionen gefordert, schwappt heute die
Geiz-ist- geil-Welle auch auf den IPO-Markt über. Dies gilt nicht nur
für Deutschland, wie etwa die ähnlich harzig gelaufene Platzierung
des französischen Triebwerkherstellers Snecma zeigt. Diese
Entwicklung ist höchst bedauerlich aus der Perspektive eines
Emittenten, der – wie die Postbank – über ein in seiner Klarheit und
risikoarmen Ausrichtung überzeugendes Geschäftsmodell, eine
kontinuierlich aufwärts gerichtete Performance, erkennbares
Wachstumspotenzial, eine hochmotivierte Belegschaft und ein
hochkompetentes Managementteam mit strategischer Weitsicht verfügt.
Wenn schon solche Erfolgsstorys an der Börse nur mit Ach und Krach
zum Buchwert bezahlt werden, die Nachfrage also kaum durch „Substanz
bewegt“ wird, ist es bis zum Käuferstreik nicht mehr weit. Aktien,
nein danke?
In Sonderheit dieses IPO litt freilich extrem darunter, dass es
nicht nur ein unerquickliches Marktumfeld vorfand, sondern zu allem
Überfluss von desaströsen „Kunstfehlern“ begleitet wurde. Die
Deutsche Bank schwankte, vermutlich auf Drängen der Bundesregierung,
zeitweise zwischen Konsortialführung und Kaufinteresse. Dann
erblickte ein internes Papier dieses Global Coordinators, in dem die
Postbank deutlich abgewertet wurde, zur Unzeit das Licht der
Öffentlichkeit. Hinzu kam eine in dieser Lautstärke nie zuvor gehörte
öffentliche Begleitmusik. Nichts gegen eine sachliche
Bewertungsdiskussion oder gegen Preisempfehlungen für
Zeichnungsaufträge. Aber wenn auch noch jeder Unberufene seinen Senf
dazu gibt, wenn aufgeregte Beteiligte und Beobachter das Wasser nicht
halten können, wenn Medien Nonsens mit Nachrichten verwechseln und
die Börse zum Basar mutiert: Dann wird vor allem das private Publikum
– über die (Nicht-)Anlage in Investmentfonds mit Folgen auch für die
institutionelle Seite – nur verwirrt und verschreckt statt informiert
und aufgeklärt. Neues Vertrauen in das Instrument Aktie gewinnt man
so nicht.
Auch nicht unter potenziellen Emittenten. Der Börsengang der
Postbank als Initialzündung für die Wiederbelebung des IPO-Marktes,
wie die Deutsche Bank meinte? Wohl eher nicht. Ein Gewürge, wie wir
es in den vergangenen Wochen erleben mussten, macht keine Lust auf
mehr. In diesem Fall sind Verkäufer und Emittent groß und stark
genug, solche Belastungen wegzustecken. Aber jeder Mittelständler,
der schon mal mit einem Gang an die Börse liebäugelte, wird mit
diesem abschreckenden Beispiel vor Augen zu der Erkenntnis kommen,
dass er sich so etwas nicht antun muss. Nach dem ganzen peinlichen
Drumherum taugt die Postbank mithin als Eisbrecher für den
Aktienprimärmarkt so wenig wie „De Liefde“ für Rhein und Main,
sollten sie im nächsten Winter zufrieren.
ots-Originaltext: Börsen-Zeitung

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