Börsen-Zeitung: Leitartikel von Claus Döring zum Urteil im Mannesmann-Prozess: Der Freispruch
Frankfurt (ots)
Der Vorhang ist gefallen im Saal L111 des Düsseldorfer Landgerichts, die Prozess-Show ist vorüber. Ein halbes Jahr lang hat der Mannesmann-Prozess Woche für Woche zwar nicht die Nation, aber doch ein über Corporate Germany hinausgehendes Publikum in Atem gehalten. Schlussapplaus? Ja, bitte. Aber nicht, um eine Zugabe zu fordern. Eine Revision beim Bundesgerichtshof, die die Staatsanwaltschaft nun erwägt, brächte weder Erkenntnisgewinn noch Rechtsklarheit.
Applaus, weil der Freispruch der sechs Angeklagten im Mannesmann- Verfahren eine gute Nachricht für den Standort Deutschland ist. Sowenig dieser Prozess selbst jener befürchtete Schlag gegen den Wirtschaftsstandort war, so wenig sind es Verlauf und Ausgang des Verfahrens. Erstens hat dieser Prozess gezeigt, dass allen Vorverurteilungen zum Trotz die deutsche Justiz in der Lage ist, ein faires und dem Sachverhalt angemessenes Verfahren zu führen. Zweitens hat das Gericht frühzeitig signalisiert, wie es den Hauptvorwurf der Untreue beurteilt, und sich demzufolge bemüht, das Verfahren zügig durchzuziehen. Drittens hat die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung wie schon zuvor im so genannten Rechtsgespräch die Unterscheidung zwischen strafrechtlich und aktienrechtlich relevanten Aspekten herausgearbeitet und damit dem Gesetzgeber Hinweise für die notwendige Weiterentwicklung des Rechts gegeben. Insbesondere der Untreue-Straftatbestand bedarf dringend einer Reform. Denn er bedroht unternehmerisches Handeln, zu dem systemimmanent auch Risiko gehört, wenn im Falle des Misserfolgs gleich der Staatsanwalt vor der Tür steht. Viertens hat der Prozess das Bewusstsein in diesem Land für Fragen der Corporate Governance geschärft, und zwar nicht nur an den von der Richterin zitierten Stammtischen, sondern hoffentlich auch bei den Akteuren. Fünftens erlöst das Urteil mit dem Freispruch von Josef Ackermann die größte deutsche Bank aus einer gewissen Handlungsunfähigkeit und Sprachlosigkeit, in die das Institut sich mit Rücksicht auf die öffentliche Stimmung hierzulande begeben hat.
Viele Beobachter werten den Richterspruch als Freispruch zweiter Klasse. Denn in den Wein des Freispruchs im Strafverfahren hat das Gericht den Essig aktienrechtlicher Verfehlungen gekippt. Doch das nimmt dem Freispruch nichts von seiner Qualität. Im Gegenteil, es wird deutlich, wie intensiv sich das Gericht mit der Frage auseinander gesetzt hat, wer wann in welchen Gremien welche Beschlüsse gefasst hat und auf welcher rechtlichen Basis die Zahlungen an ehemalige Mannesmann-Manager erfolgten. Mit dieser akribischen Aufarbeitung wurde einerseits deutlich, wie haltlos die von der Anklage verfolgte Komplotttheorie war, wonach die Angeklagten gemeinschaftlich den Mannesmann-Konzern hätten ausplündern wollen. Für die These der Staatsanwälte, Mannesmann-Chef Klaus Esser habe sich am Ende der Übernahmeschlacht von Vodafone kaufen lassen, gab es auch nicht den geringsten Beweis.
Ob sich aus der Aufarbeitung der seinerzeitigen Vorgänge andererseits aktienrechtliche Verstöße ableiten lassen, wie es das Gericht getan hat, ist unter Gesellschaftsrechtlern umstritten. Denn es wäre zu klären, ob die Prämie an Klaus Esser im Interesse des Unternehmens gewesen ist. Die Wirtschaftsstrafkammer hat gestern ein eigenständiges Unternehmensinteresse von Mannesmann unterstellt, gegen das mit der Prämienzahlung verstoßen wurde. Doch weder die damalige Mannesmann AG noch die heutige Vodafone als Rechtsnachfolgerin fühlten sich geschädigt. Wo kein Geschädigter, da kein Kläger, und wo kein Kläger, da kein Richter.
Was bleibt nach 37 Verhandlungstagen, 55 Zeugenvernehmungen, mehr als 15000 Seiten Akten? Die Erkenntnis, dass bei der Gewährung der Mannesmann-Prämien vor vier Jahren zwar nicht gegen Strafrecht, aber zumindest gegen Regeln guter Corporate Governance, gegen die Sorgfaltspflicht und gegen das verstoßen wurde, was man gemeinhin Anstand oder Ethos nennt. Es darf nicht sein, dass Mitglieder des Aufsichtsrats über ihre eigenen individuellen Bezüge oder Prämien beschließen, wie das zum Schluss bei Mannesmann der Fall war. Es darf nicht sein, dass Mitglieder des Aufsichtsrats sich minder verantwortlich fühlen, weil sie Externe sind, also nicht aus dem zu beaufsichtigenden Unternehmen stammen. Und es darf nicht sein, dass man sich in Vergütungsfragen allein an selbst gewählten, angeblich international üblichen Größen orientiert, ohne Gesetze und Gepflogenheiten des Landes, insbesondere die im Aktiengesetz geforderte Angemessenheit, zu berücksichtigen. Den Satz aus dem persönlichen Vorwort der Vorsitzenden Richterin, dass Unternehmen und deren Entscheidungsträger in Deutschland nicht im rechtsfreien Raum operieren, und zwar unabhängig davon, ob sie Werte schaffen oder nicht, sollten sich alle Manager hinter die Ohren schreiben. Das Gericht hat der Versuchung widerstanden, die Angemessenheit von Vorstandsbezügen definieren zu wollen. Deren Vergütung zu regeln oder gar zu deckeln, ist in einer Marktwirtschaft weder Sache der Justiz noch der Politik. Umso mehr stehen jene in Verantwortung, die über Vorstandsbezüge entscheiden, nämlich die Eigentümer beziehungsweise Aufsichtsräte. Der Mannesmann-Prozess hat gezeigt, dass ein Teil der jetzt freigesprochenen Angeklagten dieser Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Zu Triumphgefühlen oder Siegesbekundungen haben sie auch nach dem Freispruch keinen Grund.
(Börsen-Zeitung, 23.7.2004)
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