Börsen-Zeitung: Drohung eines Nettozahlers, Kommentar zur Forderung nach flexiblerer Auslegung des Stabilitätspaktes von Christof Roche
Frankfurt (ots)
Bei der Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes bahnt sich ein Paradigmenwechsel an, der weit über die bisher bekannt gewordenen Reformbemühungen hinausgeht. Statt überhöhte Defizite in festen Zeiträumen zu korrigieren, verlagert sich die ganze Anlage des Pakts nun darauf, stärker auf die Erfüllung von Reformvorgaben unter Berücksichtigung länderspezifischer Parameter wie Wachstum und Schuldenquote zu setzen.
Die Forderung vieler Zentralbanker, das Regelwerk überhaupt nicht anzutasten, da die überhöhten Defizite nur mangelndem Konsolidierungseifer und politischer Unfähigkeit entspringen, geht damit voll ins Leere. Selbst die Reformarbeiten von Europas Kassenwarten, die noch emsig an einer neuen Balance zwischen Flexibilität und Disziplin basteln, um die Budgetüberwachung nicht in die Beliebigkeit abgleiten zu lassen, gelten inzwischen als überholt. Denn klar ist nach dem Gipfel in Brüssel: Die Entscheidung über die Reform des Pakts ist allein Sache der Staats- und Regierungschefs. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder macht Dampf, um die Paktreform in seinem Sinne abschließen zu können.
Dabei schreckt er auch vor einer unverhohlenen Drohung nicht zurück. Er hat ein Junktim zwischen Paktreform und EU-Haushalt aufgestellt: Berlin will die Brüsseler Finanzplanung nicht, wie bislang verabredet, bereits im ersten Halbjahr 2005 abschließend behandeln, sondern erst ein Jahr später. Übersetzt heißt das: Wenn die Paktreform nicht vorankommt, dreht Deutschland als Europas größter Nettozahler den Geldhahn weiter zu. Seine (ultimativen) Forderungen an die Kollegen hat der Kanzler in Brüssel auch gleich mitgebracht: Die deutschen EU-Zahlungen werden aus der Defizitberechnung ausgeklammert, und für Investitionen in Forschung und Entwicklung will Berlin ebenfalls keinen Schulden-Sünder mehr spielen.
Sicher: Die Diskussion über die Änderungen ist längst noch nicht abgeschlossen, zumal andere Staaten andere Vorstellungen Ausklammerung von Infrastrukturkosten oder Rüstungsausgaben haben, um ihre Finanzen zu entlasten. Aber vermutlich ist es Schröder von Beginn an ohnehin kein Freund des Pakts unter dem Strich egal, wie die Reform enden wird. Hauptsache, im Wahljahr 2006 gibt es für die deutsche Finanzpolitik aus Brüssel keine störenden Sperrfeuer mehr. Das ist es, was Schröder interessiert, und nicht, dass nach der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der den Euro so stabil wie die D-Mark halten soll, wohl lediglich ein leeres Versprechen übrig bleibt. Schröder sollte dann aber auch so ehrlich sein und nur noch von einem Wachstumspakt sprechen.
ots-Originaltext: Börsen-Zeitung
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