Börsen-Zeitung: Die nächste Abbauwelle rollt, Leitartikel von Bernd Wittkowski zur nächsten Runde des Personalabbaus bei den deutschen Banken
Frankfurt (ots)
Als Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank hatte Ulrich Cartellieri einen ganz schwachen Abgang die Gründe für seinen vorzeitigen Rücktritt blieb er schuldig. Als klugem Propheten der Entwicklung im Bankgewerbe dagegen muss man ihm Respekt zollen, auch wenn er sich um ein Jahrzehnt vertan hat: Die Banken sind die Stahlindustrie der neunziger Jahre, hatte Cartellieri 1990 einen französischen Unternehmer zitierend gemenetekelt. Längst hat das damals angedrohte Unheil seinen Lauf genommen. Doch wer geglaubt haben sollte, damit seien die massiven Stellenstreichungen im Wesentlichen abgeschlossen, wird sich schon bald eines Schlechteren belehren lassen müssen. Die nächste Abbauwelle rollt, und sie könnte Dimensionen annehmen, die nicht nur von den direkt Betroffenen, sondern auch von der breiten Öffentlichkeit und der Politik als dramatisch empfunden werden und für entsprechendes Aufsehen sorgen dürften: Stahl-Dimensionen.
Allein die vier Großbanken haben schon in den vergangenen Jahren den Wegfall von weltweit fast 50000 Arbeitsplätzen angekündigt und diesen inzwischen weit überwiegend vollzogen. Auf die Dresdner Bank zum Beispiel entfielen davon an die 16000 Stellen. Auch Sparkassen, Landesbanken und Kreditgenossenschaften leben nicht auf einer Insel der Seligen, mag der Abbau bei ihnen auch weniger spektakulär ausfallen und meist etwas leiser abgewickelt werden. Die von den Großbanken kommunizierten Horrorzahlen werden zwar nicht in allen Fällen Realität, doch bisweilen geht die Wirklichkeit noch über die verlautbarten Pläne hinaus. So hatte die Deutsche Bank sukzessive die Streichung von 13000 Stellen angekündigt. Tatsächlich verschwunden sind aber seit dem Höhepunkt der Beschäftigung im Jahr 2000 fast 90000 auf Vollzeitkräfte umgerechnete Mitarbeiter über 24000 Arbeitsplätze. Die Tatsache, dass keineswegs alle der Betroffenen auf der Straße stehen viele wechselten im Zuge des Verkaufs oder des Outsourcing von Einheiten den Arbeitgeber , kann gleichwohl nicht über die Tiefe der Einschnitte hinwegtäuschen.
Der Patient Bankgewerbe mag, so das gestrige Bulletin von Rolf-Ernst Breuer, von der Intensivstation zurück sein. Aber bis zur völligen Genesung, die der Bankenpräsident noch ein gutes Stück entfernt sieht, stehen weitere Operationen mit schmerzhaften Folgen bevor. Die jüngsten Signale aus der Branche sind alarmierend. 900 Arbeitsplätze auch keine Kleinigkeit stehen bei der Commerzbank anlässlich der tief greifenden Redimensionierung des Investment Banking auf der Streichliste. Aus der HypoVereinsbank sickerten erste Zahlen zur nächsten, vor allem das Geschäftsfeld Deutschland betreffenden Kostensenkungsrunde durch: Bis zu 2500 Jobs könnten verloren gehen. Nach der üblichen Dramaturgie solcher Aktionen kommt es am Ende wohl eher etwas schlimmer.
Vorausgesehen haben es nicht einmal die Vorstände. Ich denke, das wars, hatte Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller noch im Februar durchaus glaubwürdig die Frage beantwortet, ob ein weiterer Beschäftigungsabbau drohe. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann erklärte zur gleichen Zeit ebenso glaubwürdig , der Personalabbau sei abgeschlossen. Neun Monate später ist davon auszugehen, dass die Deutsche neuerliche Einschnitte vorbereitet. Von Analystenseite wurde schon die erschreckende Zahl von weltweit 6000 Stellen, davon 2000 im Investment Banking, kolportiert eine Hochrechnung, von der die brutale Wirklichkeit womöglich nicht allzu weit entfernt sein wird.
Die Deutsche Bank hüllt sich dazu in Schweigen, wohl schon deshalb, weil sie noch keinen fertigen Gesamtplan für den neuen Anlauf zur Hebung von Kostensynergien und zur Verbesserung der Aufwandsrentabilität hat. Es fällt aber nicht unter das Bankgeheimnis, dass die Leiter der Corporate and Investment Bank, Michael Cohrs und Anshu Jain, wie auch Asset-Management-Chef Kevin Parker und Deutschland-CEO Jürgen Fitschen dabei sind, ihre Bereiche umzubauen und die Budgets für 2005 zu planen. Da auf der Ertragsseite, zumal wegen der lausigen Wirtschaftslage hierzulande, die Grenzen des Wachstums nahe sind, ist klar, dass Konsequenzen bei den Kosten gezogen werden.
So erstaunlich es nach den Kürzungen der Vergangenheit wirkt: branchenweit gibt es offenbar vor allem im Back Office und in Stabsfunktionen etwa IT, Operations oder Kommunikation immer noch viele Doppelarbeiten und entsprechend hohe Synergiepotenziale, die jeweils dann sichtbar werden, wenn Bereiche zusammengezogen oder neu ausgerichtet werden. Die in diesen Abteilungen Beschäftigten sollten sich tunlichst warm anziehen der Winter wird für sie sehr frostig. An der Kundenfront, vor allem im Retailgeschäft, ist man hingegen schon vergleichsweise schlank und effizient aufgestellt was auch leichter fiel, weil ein Profit Center, anders als die Stäbe, Erfolg und Misserfolg täglich an Erträgen und Kosten messen kann. Den Point of Sale werden die Banken folglich im eigenen Interesse weitgehend verschonen, um keine Ertragseinbußen zu riskieren.
Das drastische Gesundschrumpfen der Großbanken hat Folgen für die Chancen einer Konsolidierung: Je schlanker die Institute sind, desto wahrscheinlicher werden mittelfristig nationale Fusionen. Doch wer etwa im politischen Berlin ständig den nationalen Champion herbeireden will, muss wissen, was er sagt: Käme es wirklich zu Großfusionen, wäre der aktuell anstehende Personalabbau nur ein milder Vorläufer des dann drohenden Kahlschlags.
(Börsen-Zeitung, 23.11.2004)
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