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Börsen-Zeitung: Eine Frage des Anstands, Kommentar zum Mannesmann-Revisionsverfahren von Bernd Wittkowski.

Frankfurt (ots)

Man muss schon juristischer Feinschmecker sein,
um jede Vorlesung genießen zu können, die seit dem gestrigen
Donnerstag im zum Verhandlungssaal umfunktionierten
Bibliotheksgebäude des Bundesgerichtshofs (BGH) gehalten wird. Ein
Urteil im Mannesmann- Verfahren ist gleichwohl schon jetzt möglich:
Vor dem 3.Strafsenat wird überwiegend auf anspruchsvollem
intellektuellen Niveau gestritten – Strafrechtsprofessoren (fast)
unter sich zelebrieren die hohe Schule der Juristerei. Übrigens
geschieht das trotz der Schwere der Materie und der gravierenden
Folgen, die den Angeklagten persönlich, den involvierten Unternehmen,
namentlich der Deutschen Bank, und wegen der Ausstrahlungen auf die
unternehmerische Freiheit im Allgemeinen letztlich dem
Wirtschaftsstandort Deutschland drohen, in äußerst entspannter
Atmosphäre. Die souveräne und unverkrampfte Verhandlungsführung des
Vorsitzenden Richters Prof. Klaus Tolksdorf macht es möglich.
Zurück zu den juristischen Feinheiten: Wenn schon die
Rechtsgelehrten so vehement über – beispielsweise – geschriebene und
ungeschriebene Tatbestandsmerkmale eines Regelverstoßes streiten
können, wie soll dann der Rechtsanwender, sei er auch
Aufsichtsratsmitglied, wissen, bei Erfüllung welchen Details er die
Grenze vom Erlaubten zum Verbotenen und Strafbaren überschreitet?
Diese Frage, die (neben anderen strittigen Punkten) den BGH
beschäftigt, macht das Dilemma der Causa Mannesmann deutlich: Für den
Anwendungsbereich der justiziablen Untreue fehlt es an
Rechtssicherheit. Für dieses Defizit aber kann man nicht einen
Beschuldigten zur Rechenschaft ziehen.
Das Problem hätten der ehemalige Mannesmann-Chef Klaus Esser und
der frühere Aufsichtsratsvorsitzende Joachim Funk sich selbst, den
anderen Angeklagten und den Gerichten indes leicht ersparen können:
Es wäre honorig gewesen, auf Sonderprämien anlässlich der Mannesmann-
Übernahme durch Vodafone von sich aus zu verzichten. Beide haben nur
ihren Job gemacht und wären auch bei Beschränkung auf die
vertragliche Vergütung nicht unter die Armutsgrenze gefallen. Dass
sie nicht verzichteten, ist aber nicht zwingend eine Frage von
Schuld, sondern eine Frage des Anstands. Doch die Moral, das machte
der BGH gleich zu Beginn der Verhandlung deutlich, steht in Karlsruhe
nicht auf dem Prüfstand.

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