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Börsen-Zeitung: Verlierer Aktionärskultur, Kommentar zur Allianz-Hauptversammlung von Michael Flämig

Frankfurt (ots)

Pioniere haben es in der Regel schwer. So geht
es auch der Allianz. Als erstes größeres Unternehmen in Deutschland
plant die Versicherung die Umwandlung in eine europäische
Aktiengesellschaft. Damit betritt das Unternehmen Neuland – und lockt
Wegelagerer an.
Die Hauptversammlung, die über die Verschmelzung mit der
italienischen Tochter Ras und die Societas Europaea entscheiden
sollte, wurde von einer Hand voll juristisch geschulter und
vermutlich koordiniert auftretender Aktionäre bis in den späten Abend
hinein verzögert. Mehrfach taten Redner kund, sie machten sich die
Fragen aller Vorredner zu Eigen, wohl um alle Ansatzpunkte für eine
Klage zu nutzen. Ein anderer Redner setzte vor völlig geleerten
Stuhlreihen – von den 3600 Aktionären waren nur noch wenige Dutzend
Anteilseigner anwesend – gezielt auf Emotionalisierung, um
Fehlverhalten der Verwaltung zu provozieren. Andere wünschten schon
nachmittags eine „ladungsfähige Adresse der Aufsichtsräte“.
Aufsichtsratsvorsitzender Henning Schulte-Noelle bewahrte die
Contenance auch bei persönlichen Angriffen. Schließlich kennt man
dieses Vorgehen einzelner Aktionäre – die von der Mehrheit abgelehnt
wird – von anderen Fusions-Hauptversammlungen. Bewusst hatte sich die
Allianz dafür entschieden, nur einen Tag für die Versammlung
anzusetzen.
Schließlich, so die Überlegung, könnten streitlustige Aktionäre
auch einen zweiten Tag voll nutzen. Allerdings verstärkte sich so der
Zeitdruck. Der offensichtliche Missbrauch des Instituts
Hauptversammlung durch einige Aktionäre fällt umso mehr auf, als die
Vertreter der Arbeitnehmer diszipliniert und lösungsorientiert
auftraten. Vorstandsvorsitzender Michael Diekmann bedankte sich, bei
allen harten Differenzen in der Sache, denn auch bei den
Betriebsräten. Die Mitbestimmung hat an diesem Tag gewonnen.
Das Projekt Europa AG dürfte mit der gestrigen Hauptversammlung,
trotz eventueller Klagen und einer Umsetzung erst im Frühherbst,
weitgehend abgehakt sein. Die eigentliche Nagelprobe für die Allianz-
Kultur stellt der Umbau des Deutschlandgeschäfts dar. Die geplante
Neuaufstellung in dem weiteren Kernmarkt Italien wird ebenfalls
Kräfte binden. Für die Allianz ist entscheidend, dass das Geschäft in
den nächsten zwei Jahren nicht vernachlässigt wird.

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