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Boersen-Zeitung: Zu viel Gipfel-Lyrik, Kommentar von Christof Roche zu Abschottungstendenzen in einigen EU-Mitgliedsländern

Frankfurt (ots)

Es hat viel Symbolik, nicht nur für Paris. Wenn
Frankreichs Präsident Jacques Chirac auf dem Gipfel den Sitzungsraum 
verlässt, bloß weil Landsmann Ernest-Antoine Seillière, der Chef des 
europäischen Industrie- und Arbeitgeberverbandes Unice, seinen 
Vortrag in der Wirtschaftssprache Englisch hält, dann läuft gewaltig 
etwas schief. Denn ebenso, wie Chiracs Sprachen-Sentimentalismus 
nicht mehr ins 21.Jahrhundert der Globalisierung passt, ist auch 
seine Politik ein Auslaufmodell, Italiens Enel aus dem heimischen 
Energiemarkt herauszuhalten. Die Crux allerdings: Chirac ist nicht 
der Einzige in Europa, der aktuell abschottet. Dabei muss es nicht 
immer so offenkundig ablaufen, wie es Madrid gerade mit der 
Blockadehaltung zum deutschen Eon-Konzern vormacht. Es geht auch 
subtiler, und zwar über zu schwache Regulierung, über mangelnde 
Entflechtung und über unzureichende Anbindungen ans europäische Netz,
um lästige Konkurrenz aus dem Ausland fern zu halten. Und genau das 
ist das Problem, warum Europa von einem Energiebinnenmarkt noch 
meilenweit entfernt ist.
Das hat auch der Gipfel erkannt und mit dem Einstieg in eine 
europäische Energiepolitik reagiert. Doch mehr als Gipfel-Lyrik von 
Koordination und Kooperation war nicht drin. Schon beim 
Energieprotektionismus siegte die politische Rücksichtnahme: Keine 
offene Rüge an die Bremser, die Realität des Binnenmarktes endlich 
anzuerkennen und Unternehmen nicht zu hindern, sich aus einem 
europäischen Heimatmarkt für den globalen Wettbewerb aufzustellen.
Das aber ist in Zeiten, in denen Energiepolitik knallharte 
Außenpolitik ist - wie China, Russland und die USA dies vormachen - 
zu wenig. Europas Strategie muss sein, politisch mit einer Stimme zu 
sprechen und dies ohne Verzögerung über die Wirtschaft mit 
europäischen Champions zu untermauern, die aus einem starken 
Binnenmarkt heraus eigene Marktmacht entwickeln. Denn nur 
Unternehmen, die auf offene Netze und Wettbewerb zurückgreifen, haben
die Kraft, sich international zu behaupten. Dass die EU dennoch kein 
hoffnungsloser Fall ist, berichtete Tony Blair aus Downing Street: 
Dort liefert das Wasser ein deutsches Unternehmen, der Strom kommt 
von einem französischen Konzern, und bei Gas kann der britische 
Regierungschef gleich vierfach wählen, darunter bei einem heimischen 
Anbieter.
(Börsen-Zeitung, 25.3.2006)

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