Rheinische Post: SPD rückt ihre Mitte nach links
Düsseldorf (ots)
Von Thomas Seim
Ob Kurt Beck das gewollt hat? Die Reform des Arbeitslosengeldes I - die hatte er ja gefordert. Aber das Quasi-Aus für die Bahn-Privatisierung? Das Tempolimit? Die Gemeinschaftsschule? Kurz: die Verschiebung der politischen Mitte der SPD nach links wollte das Kurt Beck? Machttaktisch hat der SPD-Chef für sich aus diesem Parteitag das Optimum herausgeholt. Er, den sie noch vor acht Wochen mit der Abkürzung BMW für "Beck muss weg" auf der Verliererstraße sahen, hat beinahe putschartig die Führung übernommen. Bis kurz vor dem Parteitag war Beck ein Problembär. Jetzt ist er tatsächlich SPD-Chef. Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier, die beiden Stellvertreter mit den besten Ergebnissen, müssen sich einstweilen mit der SPD-Kanzlerkandidaten-Reservebank begnügen. Die Parteilinke Andrea Nahles ist als Drittbeste gestutzt. Franz Müntefering immerhin hat sich mit einer furiosen Rede zurück in die SPD-Führung katapultiert. Auch er muss sich Becks Führungsanspruch fügen. Aber er hat das Signal gegeben, dass er sich auf Augenhöhe bewegen will. Aus SPD-Sicht war der gesamte Parteitag ein Akt kollektiver Vernunft, wie es ihn nicht oft in der Sozialdemokratie gibt. Aber die Achs-Verschiebung der Partei lässt nun eben auch ein Bündnis mit der Linkspartei als drohende Möglichkeit am politischen Horizont auftauchen. Noch gilt dies nur rechnerisch und nicht inhaltlich: Schon im jetzigen Bundestag hätte die SPD zusammen mit der Linkspartei und den Grünen eine Mehrheit. Das ist nicht ungefährlich für die amtierende Kanzlerin. Der Agenda-2010-Kanzler Gerhard Schröder hat Bayerns Ex-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber angeblich bereits wissen lassen, dass er ab 2009 mit einem solchen Bündnis rechnet. Auch diese Option, die sich Beck geschaffen hat, macht ihn zu einem unangenehmen Verhandlungspartner für Angela Merkel in den Koalitionsrunden bis zu den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg im Frühjahr 2008. Die Union muss nun die von Beck preisgegebene Mitte einnehmen. Da hat Jürgen Rüttgers Recht. Aber dafür müsste auch die Union nach links rücken, noch weiter weg von ihrer konservativen Stammwählerschaft. Schon jetzt gibt es dort Kritik an Merkels kaum profilierten Mitte-Kurs. Für die Union ist das deshalb nicht nur Chance, sondern auch Risiko. Der von Rüttgers ausgehende Streit um das soziale Profil der Union spaltete vor einem Jahr beinahe die Partei. Damals ließ sich der Streit nur befrieden, weil niemand daran glaubte, dass die SPD die Schröder-Agenda von sich aus korrigieren würde. Das Abrücken der Beck-SPD von dieser Schröder-Agenda spielt den Ball in die Union zurück. Sie muss nun ihre Antwort darauf finden. Schnell und jedenfalls vor den Landtagswahlen im kommenden Frühjahr. Das Spielfeld ist wieder offener geworden. Und das hat Kurt Beck sicher gewollt.
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