Rheinische Post: Die Lebenslüge des Günter Grass
Düsseldorf (ots)
von Sven Gösmann
Es gab in dieser Republik keinen "Aufstand der Anständigen", bei dem Günter Grass gefehlt hätte. Wortgewaltig schwang er die Moralkeule gegen seine politischen Gegner, und die begannen für ihn gleich rechts von der SPD. Und jetzt das. Günter Grass musste eine gewaltige Lebenslüge einräumen: Über Jahrzehnte hat er Teile seiner Biographie vom Waffen-SS-Mann zum Flakhelferlein umgeschminkt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Grass ist als 17-Jähriger in das Räderwerk der Nazi-Diktatur geraten, zig junge Männer wurden in den letzten Kriegsjahren zur Waffen-SS eingezogen. Durch ihre Erfahrungen geläutert, waren viele von ihnen nach dem Krieg Aufbauhelfer der jungen Demokratie. Auch Grass hat sich als literarischer Bewältiger der Nazi-Zeit Verdienste erworben. Warum also hat sich der Großautor so spät zu seinem biographischen Makel bekannt? Dass sein flapsiges Coming-out werbewirksam zur Veröffentlichung seiner Autobiographie erfolgt, macht es nicht besser. Seine selbstgerecht eingeforderte und von interessierter politischer Seite geförderte Position als moralische Instanz hat Grass jedenfalls verloren. Ob er zudem als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS 1999 den Literaturnobelpreis erhalten hätte, darf stark bezweifelt werden. Der Fall Grass ist nicht am Ende, er beginnt erst.
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