UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland: Versprechen an Kinder für zu viele nicht erfüllt
UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2023 :
Versprechen an Kinder für zu viele nicht erfüllt
UNICEF Deutschland fordert mehr Investitionen in Grundschulen und umfassende Maßnahmen gegen Kinderarmut
Köln/Berlin, den 14. September 2023// Obwohl die große Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland eine sichere und gesunde Kindheit erlebt, gibt es eine zunehmende Zahl von Kindern, die ins gesellschaftliche Abseits geraten und die Chancen, die ihnen zustehen, nicht nutzen können. Zu viele Kinder werden in der Schule frühzeitig abgehängt und schaffen am Ende keinen Abschluss. Das Risiko, dauerhaft in Armut zu leben, begleitet mehr als 1,3 Millionen durch ihre Kindheit. Nach der Pandemie deutlich gesunkene, im europäischen Vergleich sehr niedrige Zufriedenheitswerte unter Jugendlichen spiegeln die Probleme der jungen Generation wider. Dies sind die zentralen Ergebnisse des neuen UNICEF-Berichts zur Lage der Kinder in Deutschland „Ein Versprechen an die Jugend“ von Prof. Dr. Hans Bertram.
Georg Graf Waldersee, Vorsitzender von UNICEF Deutschland: „Der Bericht weist auf drei Handlungsfelder hin: Deutschland muss in den Bildungsbereich investieren, vor allem in die unterfinanzierten Grundschulen. Denn dort werden die Weichen für die Zukunft unserer Kinder gestellt. Um belastenden Armutserfahrungen entgegenzuwirken, benötigen chronisch benachteiligte Familien verlässliche Sach- und Geldleistungen. Auch die emotionale Verfassung der jungen Menschen dürfen wir nicht ignorieren. Zufriedenheit und Zuversicht sind wichtig für Kinder, damit sie ihr Leben eigenständig gestalten können.“
UNICEF Deutschland erinnert die Bundesregierung an ihre Zusagen an Kinder und Familien aus dem Wahljahr 2021. „In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode müssen sich Umfang und Tempo ihrer Bemühungen für Kinder steigern,“ ergänzte Graf Waldersee.
Der sechste Bericht von Hans Bertram für UNICEF Deutschland seit 2006 zeichnet ein umfassendes Bild der Lage der Kinder in Deutschland hinsichtlich Bildungschancen und Armutsrisiken sowie Zufriedenheit, Gesundheit und Sicherheit von Kindern im Vergleich der europäischen Länder und der Bundesländer. Zu den chronisch benachteiligten Gruppen von Kindern in Deutschland gehören vor allem jene, die mit nur einem Elternteil oder ohne Eltern aufwachsen sowie Kinder, die mehr als zwei Geschwister haben, deren erste Sprache nicht Deutsch ist oder die als Geflüchtete nach Deutschland kommen.
„Teilhabe und individuelle Förderung – in pädagogischer, vor allem aber in finanzieller Hinsicht – sind für Familien fundamental. Denn verpasste Bildungschancen und Armutserfahrungen in der Kindheit wirken sich negativ auf den weiteren Lebensverlauf und die persönliche Resilienz aus“, so Hans Bertram.
Wesentliche Ergebnisse des UNICEF-Berichts
Der Bericht zeigt auf, dass sich bereits im Grundschulalter abzeichnet, ob Kinder unabhängig von ihrer sozioökonomischen Herkunft ihre Talente entfalten können. Doch sind die Ausgaben für den Grundschulbereich in Deutschland im internationalen Vergleich sehr niedrig. Im Jahr 2019 wurden hier nur 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiert. Die Zahl der jährlich rund 47.000 Schulabgänger*innen ohne Abschluss unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf.
Im Bericht wird deutlich gemacht, dass dies nicht allein ein Problem der Schulen ist, sondern die Zusammenarbeit zwischen Kindergärten, Schulen und der Nachmittagsbetreuung der Schulkinder neu entwickelt werden muss. Die Vielfalt der heutigen Kinder und die Veränderungen ihrer Lebenswelten, etwa durch die Digitalisierung, setzt ebenfalls eine neue Kooperation zwischen Schulen, Jugendhilfe und Zivilgesellschaft voraus. Der Autor zitiert das afrikanische Sprichwort „It takes a village to raise a child“ und formuliert, dass unsere Gesellschaft ein neues „Dorf“ errichten muss.
Aktuell sind 1,3 Millionen Kinder in Deutschland vom Risiko dauerhafter Armut betroffen. Hans Bertram betont die Bedeutung von Bildungsgrad und Berufstätigkeit beider Eltern, um diesem Risiko zu entgehen. Alleinerziehende und Familien mit drei und mehr Kindern können die gemeinsame finanzielle Verantwortung für das kindliche Wohlergehen in vielen Fällen nicht allein tragen. Das Lebensalter der Kinder spielt hier eine große Rolle – je jünger die Kinder, desto schwieriger die Situation für die Eltern. Mit der Kindergrundsicherung könnte dieses von Prof. Dr. Hans Bertram in allen UNICEF-Berichten seit 2006 genannte Problem gelöst werden.
Kinderrechte in den Mittelpunkt stellen
UNICEF Deutschland fordert erneut die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz, damit die Situation und die Anliegen junger Menschen in den Mittelpunkt politischen Handelns rücken. Ein solches Signal wäre aus Sicht von UNICEF auch der aktuellen Stimmungslage zuträglich: In europaweiten Umfragen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen weist Deutschland deutlich gesunkene, sehr niedrige Werte (nur 6,6 von zehn Punkten) bei der Zufriedenheit und einen der höchsten Werte beim subjektiven Unsicherheitsgefühl auf.
Der Autor
Prof. Dr. Hans Bertram lehrte Soziologie an der Universität der Bundeswehr München und der Berliner Humboldt-Universität. Er war Vorstand und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München. Seit 2007 ist Bertram Mitglied der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften).
UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2023
Eine Zusammenfassung des Berichts steht auf dieser Seite zum Download bereit.
Auf der Webseite finden Sie auch den gesamten Bericht mit dem Titel „Ein Versprechen an die Jugend“ von Prof. Dr. Hans Bertram (UNICEF Deutschland, Köln, September 2023).
Neue UNICEF-Datenbank „Kind sein in Deutschland“ ab 18. September 2023
Aufbauend auf einem Konzept des Autors hat UNICEF die Datenbank „Kind sein in Deutschland“ entwickelt. Sie enthält ausgewählte, aktuelle und geprüfte Daten zum Wohlbefinden der Kinder in Deutschland und orientiert sich an den sechs Dimensionen kindliche Zufriedenheit, elterliche Unterstützung und Beziehungen, Bildung, Gesundheit, Risiken und Gefahren sowie materielle Situation. So lassen sich alle Aussagen nachprüfen und mögliche Verbesserungen messen. Bislang existierte in Deutschland keine Datenbank, die das nahezu unüberschaubare Angebot an Daten einfach zugänglich bündelt. Ab 18. September 2023 finden Sie die Datenbank unter www.unicef.de/cwb-datenbank.
Kontakt: UNICEF Deutschland, Dr. Sebastian Sedlmayr, Leiter der Stabsabteilung Advocacy und Politik, sebastian.sedlmayr@unicef.de
UNICEF Deutschland, Jan Braukmann, Referent Advocacy und Politik, jan.braukmann@unicef.de
Pressekontakt: UNICEF Deutschland, Vera Tellmann, Sprecherin, 0221/93650-315 oder 0170-8518846, presse@unicef.de
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