In Gedenken an Walter Frankenstein
Einer der ältesten und inspirierendsten Fans von Hertha BSC ist am Montag im Alter von 100 Jahren verstorben.
Hertha BSC trauert um Walter Frankenstein. Einer der ältesten und inspirierendsten Fans der Alten Dame ist am Montag (21. April 2025) im Alter von 100 Jahren in seiner schwedischen Wahlheimat Stockholm verstorben.
Einmal Hertha, immer Hertha: Frankensteins Zuneigung zu Hertha BSC bestand trotz unterschiedlichster Widrigkeiten seit fast 90 Jahren, genauer gesagt seit Herbst 1936, als ihn ein Freund mit ins legendäre Stadion am Gesundbrunnen, die ‚Plumpe‘ mitnahm. Und der Herthaner kam wieder. Lautstark und voller Überzeugung feuerte er sein Team an. So treu Frankenstein seinem Herzensverein über all die Jahre geblieben war, so beschämend ist allerdings der Hintergrund, warum es ihn seinerzeit überhaupt nach Berlin verschlagen hat.
Am 30. Juni 1924 wurde Walter Frankenstein in Flatow, das heute zu Polen gehört, geboren. Zwölf Jahre später erhielt er den Verweis von seiner Volksschule – genauso wie alle anderen Schüler jüdischen Glaubens auch. Frankensteins Vater war bereits einige Jahre zuvor gestorben. So kam der Jugendliche 1936 nach Berlin, um überhaupt eine Schule besuchen zu können – vier Tage vor Beginn der Olympischen Spiele. Sein Onkel hatte ihm einen Platz im Auerbach'schen Waisenhaus verschafft, das Frankenstein später die „Insel im braunen Meer“ taufte. Es war ein Ort, an dem er sich als jüdischer Jugendlicher sicher fühlte, abgekapselt von der Welt, in der die Nationalsozialisten herrschten.
In der Hauptstadt besuchte Walter die Jüdische Schule in der Rykestraße in Prenzlauer Berg. Schon in Flatow ein fußballbegeisterter Junge, kam er nun zum ersten Mal mit Hertha in Berührung. Doch nicht nur an die Alte Dame verlor Frankenstein sein Herz. Er lernte Leonie Rosner kennen, die beiden verliebten sich ineinander und heirateten im Frühjahr 1942. Bereits im Oktober 1941 beschlossen sie, Hitler zu überleben. Im März 1943 tauchten die Frankensteins zusammen mit ihrem sechs Wochen alten Sohn unter. Die Nationalsozialisten verhafteten Ende Februar/Anfang März 1943 im Rahmen der Fabrik-Aktion in Berlin innerhalb weniger Tage mehrere tausend jüdische Zwangsarbeiter, die Stadt sollte bis zum Sommer 1943 „judenrein“ werden. Auch Leonie Frankenstein wurde in diesen Tagen kurzzeitig inhaftiert und entkam nur knapp der Deportation. Walter Frankensteins Mutter jedoch hatte keine Chance zu fliehen: Sie wird am 1. März 1943 von Berlin-Grunewald nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Dem jungen Ehepaar in Berlin wurde deutlich, dass ihre Deportation nur eine Frage der Zeit war, sie versteckten sich. Leonie wurde kurz darauf erneut schwanger und bekam einen zweiten Sohn – für das Leben in der Illegalität ein großes Risiko. Es grenzte an ein Wunder, dass die vierköpfige, junge Familie den Nazi-Terror überlebte. Immer wieder gab es Situationen, in denen sie von der Gestapo kontrolliert wurden oder Nachbarn ihre Unterschlupfe aufspürten. Walter Frankenstein verbrachte die meiste Zeit in Berlin und versteckte sich in Trümmerhäusern, alten Autos, Wohnungen von Bekannten und im Grunewald. Leonie überlebte mit den Kindern auf einem Bauernhof im Umland von Berlin – unter falscher Identität.
Nach Kriegsende wollten die Frankensteins mit Deutschland bis auf Weiteres nichts mehr zu tun haben. Sie wanderten aus. Erst nach Palästina, dann nach Schweden, wo Walter Frankenstein bis zuletzt in einem Vorort Stockholms wohnte. In der jüngeren Vergangenheit besuchte Frankenstein Deutschland wieder regelmäßig. Dabei suchte er in Schulen und auf Veranstaltungen das Gespräch – vor allem mit Kindern und Jugendlichen. Auf diese Weise wollte er seinen Teil dazu beitragen, dass sich eine Zeit wie die während des Nazi-Regimes nie wiederholt. Auf seinen Reisen hatte er stets ein Foto seiner verstorbenen Ehefrau dabei. Außerdem hatte er den Judenstern, den er ab 1941 offen tragen musste, sowie das Bundesverdienstkreuz, welches er 2014 für sein Wirken als Zeitzeuge erhalten hatte, stets in einer Schatulle in seiner Tasche.
Dass Frankensteins Liebe zu Hertha BSC den Krieg und die harten Jahre im Untergrund überlebte, war keine Selbstverständlichkeit – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verein als einer von vielen spätestens 1940 alle Mitglieder jüdischen Glaubens ausgeschlossen hatte. Ein Fehler, den Frankenstein seinem Verein verzieh, den er später einmal als „Teil meines Lebens“ bezeichnete. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits auch Ehrenmitglied des Hauptstadtclubs. Seine Mitgliedsnummer: 1924, sein Geburtsjahr. Nun ist Walter Frankenstein wenige Monate vor seinem 101. Geburtstag verstorben.
Hertha BSC verneigt sich vor einem außergewöhnlichen Menschen und vor einem großen Herthaner. Unsere Gedanken sind bei der Familie, bei Freunden und Weggefährten von Walter Frankenstein. Ruhe in Frieden, lieber Walter – wir werden dir ein ehrendes Andenken bewahren.
Hertha BSC GmbH & Co. KGaA
Direktion Kommunikation