Stuttgarter Nachrichten: Schauspieler Roman Knizka: Wir werden die Früchte der Einheit erst noch ernten
Stuttgart (ots)
Der Schauspieler Roman Knizka (35) blickt voller Optimismus auf das vereinte Deutschland. Zum 15. Jahrstag der Deutschen Einheit an diesem Montag sagte er im Interview der Stuttgarter Nachrichten (Wochenende): Dass das vereinte Deutschland enorm viel kosten würde, war klar. Aber die Früchte dessen werden wir erst noch ernten mehr und mehr. Knizka, einer der renommiertesten Darsteller des neuen deutschen Films, war vor dem Mauerfall, im Sommer 1989, aus der DDR in die Bundesrepublik geflüchtet. Er stand in mehreren Tatort-Produktionen vor der Kamera, wurde für Vergiss Amerika ausgezeichnet und spielte Hauptrollen in dem Drama Ich liebe das Leben und dem Oscar-nominierten Film Zwilling.
Die Schwarz-Malerei nimmt zu, kritisierte der 35-Jährige: In der Politik hören wir dauernd, dass Deutschland schlechter geworden sei. Das stimmt so allgemein nicht. Es gibt andere Nationen, die in vielem aufgeholt haben, nachdem wir viele Jahre vorne lagen. Wir können diesen Abstand nicht immer halten oder ausbauen, das geht nicht. Das müssen wir lernen, so bleibt es friedlich", so Knizka. Vor allem Bayern und Baden-Württemberger wollten den Abstand zu anderen Ländern, die aufschlössen, immer noch aufrechterhalten. Das macht viele mürbe, verschlossen und sogar ablehnend gegenüber anderen. Dennoch empfinde er bis heute Dankbarkeit darüber, wie er nach seiner Flucht aus der DDR im Sommer 1989 in Baden-Württemberg aufgenommen worden sei. Jene Ostdeutschen, die im vereinten Deutschland angekommen seien, seien heute zuweilen fitter als Westdeutsche, weil sie seit 1990 enorme Sprünge hätten machen müssen, so Knizka: Der erfolgreiche Ostdeutsche prahlt nicht mit seiner Herkunft. Auch seien die Begriffe Ossi und Wessi keine Schimpfwörter mehr: Die Begriffe haben doch schon wieder Charme.
Die Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten Edwin Stoiber über frustrierte Ostdeutsche kommentierte Knizka: Stoibers Äußerungen waren unüberlegt, wenn nicht gar dumm und gehässig, weil er den Menschen die Neugier aufeinander nimmt. Dagegen könne durch die Tatsache, dass im neuen Bundestag eine erstarkte Linkspartei säße, bestenfalls ein neuer Runder Tisch entsteht, an dem alle Demokraten die richtige Richtung finden.
Interview/Wortlaut:
Der Schauspieler Roman Knizka (35), geboren im brandenburgischen Bautzen, gehört zu den gefragtesten Schauspielern des neuen deutschen Films. Nach mehreren Tatort-Produktionen wurde er für Vergiss Amerika ausgezeichnet, spielte Hauptrollen in dem Drama Ich liebe das Leben und in dem Oscar-nominierten Film Zwilling. Er lebt mit Frau und Kind in Berlin.
Herr Knika, Sie sind 1989 kurz vor der Wende aus der DDR geflüchtet. Sehen Sie Deutschland heute aus vereinter oder aus geteilter, also Ost- oder Westperspektive?
Ich bin im Sommer 1989 abgehauen, war im Auffanglager und habe dann knapp zwei Jahre in Baden-Württemberg gelebt in Sindelfingen, Böblingen, Pforzheim. Ich wollte verstehen, wie groß die Differenz zwischen mir 19-jährigem Ossi und diesem deutschen Eckchen im Südwesten ist. Bis dahin hatte ich ja wenig zu vergleichen. Die Perspektive zu wechseln, ist lebensnotwendig. Durch Reisen zum Beispiel sehen wir erst, wie gut es uns eigentlich geht. Es ist wichtig, Mentalitäten zu erforschen und sich auf Neues, Fremdes einzulassen.
Was macht Deutschland heute aus?
Heutzutage will niemand mehr etwas bewahren, alle wollen immer nur mehr und weiter: mega, hyper, ultra. Dadurch entsteht dieser gesellschaftliche Druck und das empfinden noch potenziert die Politiker, die sich auch immer nur übertrumpfen wollen. Erhalten heißt nicht nur konservativ sein. Modernes Denken kann doch heißen, gesund aufzubauen auf dem, was wir haben. Zudem nimmt die Schwarz- Malerei zu: In der Politik hören wir dauernd, dass Deutschland schlechter geworden sei. Das stimmt so allgemein nicht. Es gibt andere Nationen, die in vielem aufgeholt haben, nachdem wir viele Jahre auch mit Hilfe aus dem weiten Westen vorne lagen. Wir können diesen Abstand nicht immer halten oder ausbauen, das geht nicht. Das müssen wir lernen, so bleibt es friedlich.
Und der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschland?
In den letzten 15 Jahren hat der Osten wahnsinnig aufgeholt. Aber es gibt Regionen wie meine Geburtstadt Bautzen, wo viele Menschen unveränderlich bleiben weil sie keine Zeit, kein Geld, kein Talent hatten, etwas aus sich zu machen. Die, die im vereinten Deutschland angekommen sind, haben in den letzten 15 Jahren große Sprünge machen müssen, weil sie mit der Marktwirtschaft ins kalte Wasser geworfen wurden. Weil sie die neuen Regeln schneller lernen mussten als andere, sind sie zuweilen fitter als Westdeutsche. Der erfolgreiche Ostdeutsche prahlt allerdings nicht mit seiner Herkunft, da der gemeine Ossi leider immer noch das Sinnbild des Verlierers darstellt. Aber wer braucht das? Politiker? Die Bayern und Baden- Württemberger zum Beispiel erhalten sich gerne ihr Image von sich selbst: Sie waren einmal wirtschaftlich Spitze und sind heute noch immer ganz weit oben aber sie wollen den Abstand zu anderen Ländern, die aufschließen, immer noch aufrechterhalten. Das macht viele mürbe. Ich glaube, dass macht sogar verschlossen und ablehnend anderen gegenüber. Die führenden Zaun-Hersteller sitzen in Baden- Württemberg.
Hat Sie Baden-Württemberg geprägt?
Es war Überlebenszwang. Im Auffanglager habe ich meinen bundesdeutschen Pass und eine Zugfahrkarte nach Stuttgart bekommen. Ich wusste, dass Baden-Württemberg eins der ökonomisch erfolgreichsten Bundesländer ist, dass da Arbeit zu finden sei. Ich stand da, nach der Flucht durch Wälder und über Stacheldrähte, in schwarzen Klamotten, mit meinem kleinen schwarzen Rucksack und dachte: Das will ich vermehren. Bei Daimler-Benz gab es ein Wohnheim mit Doppelstockbetten für Arbeiter aus aller Herren Länder. Da wohnte ich für ein paar Wochen, arbeitete in einem Kaufhaus und wurde von vielen als ein Original aus Sachsen gemustert. Man hat mich gern beschenkt. Dankbarkeit darüber empfinde ich bis heute. Westdeutschland ist auch von Amerika beschenkt worden. Wer ein sozialer Mensch ist, sollte seine Dankbarkeit auf ein Land, auf jene Menschen übertragen, die etwas erbracht haben. Dass die Einheit enorm viel kosten würde, war klar. Aber die Früchte dessen werden wir erst noch ernten mehr und mehr. So etwas ist ein Novum in der Weltgeschichte, und da müssen wir durch. Und es sollte auch bei einer Bundestagswahl nicht nur darum gehen, den zu wählen, der mir das Maximale hinter meiner Türschwelle verspricht. Jeder hat eine soziale Verantwortung. Nicht nur meckern. So können wir zu einem modernen, gesunden Stolz finden.
Ist der Begriff Ossi noch ein Schimpfwort?
Nein, die Begriffe Ossi und Wessi haben heute doch schon wieder Charme. Nach meiner Flucht hab ich mich nicht ein einziges Mal als Ossi beschimpfen lassen. Das kam nicht an mich heran ich war das Risiko einer Flucht eingegangen, bin nicht durch offene Grenzen gerannt. Als dann später alte Bekannte an meiner Tür klingelten, mit gepackten Koffern, (er sächselt): Hallö. Grieß disch. Gennz misch noch? Isch wills jetzt oma im Westn probiean., entdeckte ich den Unterschied: Meine Entscheidung, aus der DDR zu fliehen, hat mich zu einem anderen Typen gemacht als den, der da vor mir stand.
Verstehen Sie Stoiber, der in Ostdeutschland viele Frustrierte entdeckt hat?
Er lobpreist sein Non-plus-ultra-Land Bayern und interessiert sich nicht wahrhaftig für Ostdeutschland. Wie ein arroganter König, der nicht in die Niederungen geht. Seine Äußerungen waren unüberlegt, wenn nicht gar dumm und gehässig, weil er den Menschen in Ost und West die Neugier auf einander nimmt. Dabei ist Neugier der Motor des Lebens. Ungewissheit muss einem nicht Angst machen, wenn man ein Fundament hat. Vielen fehlt das vielleicht.
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