Verändert die Neurobildgebung unser Menschenbild?
Berlin (ots)
Diese Frage stellte der Deutsche Ethikrat am vergangenen Mittwoch in den Mittelpunkt seiner Herbsttagung in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und diskutierte sie mit über 250 Teilnehmern. Was kann man mithilfe der Neurobildgebung über die Persönlichkeit eines Menschen, sein Erleben und sein Verhalten erfahren? Kann Neurobildgebung bei der Diagnose von psychischen Erkrankungen und bei der Beurteilung von Straftätern helfen? Welche medizinethischen Herausforderungen ergeben sich durch unerwartete Befunde oder die Vorhersage nicht behandelbarer Krankheiten?
"Was uns als Deutschen Ethikrat dabei besonders interessiert", so Christiane Woopen, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates zur Eröffnung der Tagung, "ist die Frage, was die neuen Bilder vom Gehirn mit unserem Selbstverständnis zu tun haben. Kommt es zu einer Zerebralisierung unseres Menschenbildes und was hätte dies für Folgen?"
Die modernen bildgebenden Verfahren gelten als Fenster zum Gehirn. Zu verstehen, wie 86 Milliarden Nervenzellen mit ihren Verschaltungen zusammenwirken, gilt als große Herausforderung für die Grundlagenforschung, in die in Europa und in den USA Milliarden investiert werden. Nicht zuletzt wird ein Nutzen für das Verständnis und die Behandlung von Erkrankungen erwartet. Um jedoch die Hirnorganisation mit einem konkreten Verhalten oder einer Erkrankung in Verbindung zu bringen, muss auch die kulturelle, gesellschaftliche und ethische Dimension berücksichtigt werden.
In den zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden wurde deutlich, dass die Neurobildgebung wertvolle Ergebnisse zu jenen Vorgängen im menschlichen Gehirn liefert, die mit emotionalen und kognitiven Funktionen einhergehen. Wichtig dabei ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Psychologie, Neurobiologie, Mathematik, Psychiatrie, Neurobiologie, Philosophie und anderen Disziplinen.
In der Psychiatrie werden bildgebende Verfahren bereits eingesetzt, um Tumoren, Blutungen, Entzündungen und vaskuläre Schäden auszuschließen sowie neurodegenerative Erkrankungen zu erkennen. In absehbarer Zeit werden sie voraussichtlich auch einen wichtigen Stellenwert in der Diagnostik, Therapieplanung und Prognostik psychischer Erkrankungen einnehmen. Für derartige Verfahren muss jedoch ein ethischer Rahmen geschaffen werden, um insbesondere mit prädiktiven Aussagen verantwortungsvoll umgehen zu können. Das betrifft in ähnlicher Weise den Umgang mit sogenannten Zufallsfunden ("incidental findings") im Rahmen von Studien an gesunden Probanden.
Dass die Neurobildgebung zum Zwecke der Verteidigung in strafrechtliche Verfahren Eingang finden wird - etwa zur Lügendetektion, zur Feststellung der Schuldfähigkeit oder mit Blick auf eine Sicherungsverwahrung für eine Gefährlichkeitsprognose von Straftätern - ist absehbar. Sie sollte die klassisch-psychiatrischen Gutachten jedoch keinesfalls ersetzen, sondern vielmehr ergänzen.
Zur Frage nach der Bedeutung des Gehirns für unser Menschenbild herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die bildgebenden Verfahren zu Erkenntnissen und Eingriffsmöglichkeiten führen können, die die Wissenschaften und die Gesellschaft dringend überdenken müssen. Auch ethische Kriterien für einen angemessenen Einsatz zum Beispiel in der Psychiatrie und vor Gericht müssen entwickelt werden.
Das Programm der Herbsttagung sowie die Vorträge und Diskussionsbeiträge von Referenten und Publikum können unter http://ots.de/kEh02 abgerufen werden.
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