„Wir haben die fittesten Senioren und die unfittesten Junioren“
Ein Dokument
Athleten und Experten sprechen sich klar für die Förderung des Breitensports und den Leistungsgedanken aus.
Rund ein halbes Jahr nach dem Ende der Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris lud das Forum Sport der Europäischen Metropolregion Nürnberg gemeinsam mit der Nürnberger Versicherung in den Business Tower ein. Zum Thema "Olympioniken der Metropolregion zwischen Ruhm, Förderung und Potenzial" diskutierten aktive und ehemalige Athleten, ein Nachwuchstalent sowie Vertreter aus dem Sportumfeld über die Stellschrauben sportlichen Erfolgs und warfen gemeinsam einen Blick in die Zukunft.
Breiten- und Spitzensport bedingen einander
Hoch über den Dächern Nürnbergs und mit Blick auf Teile der Metropolregion tauschten sich sieben Experten aus Sport, Wirtschaft und Medien angeregt und anregend aus. Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes, betonte einleitend: "Wir haben die fittesten Senioren und die unfittesten Junioren." In der Folge machte er sich für eine breit angelegte Sportförderung stark, die im privaten Umfeld und in Kitas, Schulen und Vereinen ansetzt, um Kinder wieder an Bewegung heranzuführen und einzelne Talente in die Weltspitze zu bringen. Dieser Argumentation schloss sich Hasim Celik, Manager des Taekwondo-Bundesstützpunktes Nürnberg, direkt an: "Ohne die Breite funktioniert es in der Spitze nicht und ohne Spitze funktioniert es in der der Breite nicht, es ist ein geschlossenes System." Mit Blick auf Frankreich, das Anfang der Nullerjahre mit einem Sportgesetz und der gezielten Ausweitung des Sportunterrichts in den Schulen die Vorbereitung auf Paris 2024 eingeleitet hatte, erklärte Ammon: "Sport- und Spitzensportförderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir müssen verstehen, dass Sport viel breiter ist." Para-Schwimmer Josia Topf, der mit einem kompletten Medaillensatz aus Paris zurückkehrte, ging in seinem Statement sogar so weit, eine klare Prioritätensetzung seitens der Bundesregierung zu fordern, um Handlungssicherheit für den Sport und seine Anspruchsgruppen zu erhalten: "Es muss klar sein, ob man es sich leisten kann oder will, das Thema ganzheitlich anzugehen, um im Medaillenspiegel wieder nach oben zu kommen."
Gute Infrastruktur ist entscheidend
Einig waren sich alle, dass der Weg in den Spitzensport für die Athleten von Höhen und Tiefen geprägt ist und neben dem sportlichen Talent viele Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Anya Kißkalt, Taekwondo-Ausnahmetalent und bereits mit einer Bronzemedaille bei den Erwachsenen dekoriert, erklärte: "Es hat lange gedauert bis ich da war, wo ich heute bin. Ich bin seit 2014 in der Nationalmannschaft und arbeite seitdem auf ein Ziel hin: die Teilnahme an Olympischen Spielen. 2024 habe ich es knapp verpasst, die Konkurrenz ist groß, aber 2028 möchte ich mich direkt qualifizieren." Die in Nürnberg lebende und trainierende Taekwondoka bezeichnete die Bedingungen am Bundesstützpunkt in Nürnberg als optimal und hob auch den speziell für Spitzensportler konzipierten Studiengang Internationales Management an der Hochschule Ansbach positiv hervor: "Durch all die Förderungen ist es für mich einfacher, meinen Sport auszuüben, denn die Kosten sind immer sehr hoch."
Finanzielle Unterstützung allein reicht nicht
Max Müller, zweimaliger Olympiasieger im Feldhockey und mittlerweile erfolgreicher Geschäftsmann, Sportfunktionär und Politiker, gab zu bedenken: "Man ist extrem diszipliniert, bringt Ruhm und Ehre für das Vaterland und hat dann nicht einmal die Chance, seine Freundin zum Essen einzuladen." Als Vorstand des Goldenen Rings Nürnberg, der sich der Förderung potenzieller Medaillengewinner aus Nürnberg verschrieben hat, beglückwünsche er immer die Mitglieder des Förderteams, die monatliche Zuwendungen zwischen 300 und 600 Euro erhalten. Ganz konkret fordere er sie auf, mit dem Geld unvernünftige Dinge zu tun, da sie den ganzen Tag über schon zielgerichtet arbeiten würden. Neben finanziellen Zuwendungen sprachen sich die Athleten auch für Unterstützungsleistungen wie Praktika oder Ausbildungs-/Traineestellen in sportaffinen Unternehmen aus. Robert van Loosen, Marketingleiter bei Fackelmann, berichtete, dass sein Unternehmen gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem HC Erlangen gemacht habe und sich die Sportler durch Disziplin, Ehrgeiz, Selbstmotivation, aber auch Kreativität auszeichneten. Die strukturierte Vorgehensweise, um Sport und Schule, später Sport und Ausbildung bzw. Studium zu vereinbaren, sei eine weitere wichtige Fähigkeit.
Kritische Haltung der Eltern zum Leistungs- und Spitzensport
Der Aussage von Max Müller, der Goldene Ring suche händeringend nach Sportlern aus Nürnberg, die Medaillenchancen haben und die Stadt und den Verein repräsentieren wollen, schloss sich Hasim Celik an: "Die Kinder erfreuen sich an der Leistung, aber mittlerweile hemmen die Eltern die Leistung der Kinder und da müssen wir mit einer gewissen Wertschätzungskultur auch die Eltern abholen." Grund dafür sei die Angst der Eltern, ihrem Nachwuchs nicht die bestmöglichen Entwicklungschancen zu bieten und durch die Fokussierung auf den Sport andere Karrierewege zu erschweren oder gar zu verbauen. "In der Pubertät fällt die Entscheidung: Sportkarriere oder Berufskarriere. Da stecke ich als Sportfunktionär oft in der Zwickmühle. Deshalb ist es wichtig, dass es duale Angebote gibt. Wir müssen die Eltern mitnehmen, ihnen verschiedene Wege für ihr Kind aufzeigen und dabei auch den Mehrwert des Sports betonen", so Celik. Ohne die Unterstützung des Elternhauses sei eine erfolgreiche Sportkarriere kaum möglich, waren sich alle Diskutanten einig.
Parasport als Wegbereiter für Inklusion
Thomas Hinrichs, Informations- und Sportdirektor des Bayerischen Rundfunks, sieht vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien in der Pflicht, Vorbilder zu schaffen und Vielfalt im Sport zu fördern: "Man spürt die Aura von Josia, seine Ausstrahlung und das wollen wir zeigen, das müssen wir zeigen. Wir müssen auch zeigen, dass es ohne harte Arbeit nicht geht, das kommt nicht von alleine. Talent kann man erben, oder ohne harte Arbeit wird es nichts." Josia Topf, der nach Paris 2024 den Film "GRENZENLOS" veröffentlichte, um seine Popularität zu nutzen und Berührungsängste im Umgang mit Menschen mit Handicap abzubauen, gab zu bedenken: „Es gibt eine neue Generation von Menschen mit Beeinträchtigung. Wir studieren, wir fahren Auto und wir können immer mehr am normalen Leben teilnehmen. Leider hat die Gesellschaft mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten, es gibt immer noch eine Parallelwelt und das ist schade.“ Und mit Blick auf den Parasport fügte er hinzu: "Es muss sich in den Köpfen der Menschen etwas ändern, dass Menschen mit Behinderung auch trainieren und das gleiche Recht auf Anerkennung haben wie Menschen ohne Behinderung."
München 2040 als Vision
Das Vorhaben der Bayerischen Staatsregierung, sich für die Olympischen Spiele 2040 zu bewerben, unterstützten die Diskutanten. Auf die Frage nach den Chancen des Verfahrens, auch angesichts von Parallelbewerbungen aus Deutschland, sagte Jörg Ammon: "Die anderen innerdeutschen Bewerber werden aus verschiedenen Gründen weniger attraktiv sein. Allerdings muss man die Menschen in Bayern rechtzeitig mitnehmen, mit Informationen, aber auch mit Begeisterung." München biete eine Vielzahl guter Sportstätten und sei seit der Ausrichtung der European Championships 2022 und angesichts weiterer Meisterschaften in verschiedenen Disziplinen ein großer Player im internationalen Sportbusiness. Für die Entwicklung des Sports in Bayern und von Olympioniken in der Metropolregion Nürnberg wäre ein Zuschlag des IOC ein Schub für den Breiten- und Spitzensport, aber auch für das ehrenamtliche Engagement. Angesichts der Statistik, dass Gastgeberländer bei Olympischen Spielen tendenziell mehr Medaillen gewinnen als bei früheren Spielen im Ausland, könnten auch für die Metropolregion glänzende Zeiten anbrechen.
Dr. Natalie Schwägerl-Haack Unternehmenskommunikation NÜRNBERGER Versicherung Mobil +49 151 51227494 natalie.schwaegerl-haack@nuernberger.de www.nuernberger.de