Lausitzer Rundschau: Politische Gratwanderung Zum Bericht der Bundesregierung zur "Armutszuwanderung"
Cottbus (ots)
Auf der öffentlichen Empörungsskala rangieren Debatten über vermeintliche oder tatsächliche Sozialschmarotzer ganz weit oben. Und geht es dabei auch noch um Ausländer, kommen die Stammtische erst recht in Wallung. Die CSU hatte sich diese latente Grundstimmung zum Jahreswechsel populistisch zu eigen gemacht. Ihr Schlachtruf "Wer betrügt, der fliegt" wurde zum echten Aufreger über die "Armutszuwanderung". Mit dem gestern veröffentlichten Zwischenbericht der Bundesregierung ist das brisante Thema nun endlich auf eine sachliche Ebene zurückgeführt worden. Die Bestandsaufnahme zeigt nämlich, dass eine pauschale Diskriminierung von Rumänen oder Bulgaren genauso unsinnig, ja gefährlich wäre, wie eine Verharmlosung des Problems. Schon dieser Befund ist ein Wert an sich. Denn dadurch haben Ideologen weit rechts als auch ganz links des Meinungsspektrums schlechte Karten. Die Reisefreiheit sowie die Freizügigkeit im Arbeits- und Niederlassungsrecht gehören zweifellos zu den wertvollsten politischen Errungenschaften des alten Kontinents. Deutschland profitiert davon in besonderem Maße. Das hat sich gerade in der Finanzkrise gezeigt, als viele junge Leute ihre Heimatländer verließen, um in Berlin, München oder Hamburg einen Job zu finden. Dass sich auch durch Zuwanderung der zunehmende Fachkräftemangel eindämmen lässt, dürfte jedermann einleuchten. Für Rumänen und Bulgaren wird Deutschland ebenfalls zunehmend attraktiver. Unter ihnen gibt es zum Beispiel 3000 Ärzte, auf die zahlreiche Krankenhäuser dringend angewiesen sind. Von einer massenhaften Einwanderung in die Sozialsysteme, wie es die CSU suggerierte, kann ohnehin keine Rede sein. Gerade einmal 0,7 Prozent der Hartz-IV-Empfänger stammen aus diesen beiden osteuropäischen Staaten. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Zahl der Hilfeempfänger zuletzt stark gestiegen ist. Und dass es dabei längst nicht immer mit rechten Dingen zugeht. Gerade deshalb klingt es vernünftig, bei der Ausstellung von Aufenthaltsbescheinigungen oder der Anmeldung eines Gewerbes durch EU-Ausländer genauer hinzuschauen und womöglich auch die gesetzlichen Bestimmungen zu verschärfen, wie es die Fachleute der Regierung in ihrem Zwischenbericht vorschlagen. Auch die Gewährung von Kindergeld ist nach ihren jetzigen Modalitäten zumindest missbrauchsanfällig und gehört daher stärker überprüft. Allerdings bedeuten solche Maßnahmen immer auch eine Gratwanderung. So richtig und wichtig es ist, die Aufregung über reale Missstände nicht einfach im Sande verlaufen zu lassen, so fatal wäre am Ende die Botschaft, dass Ausländer bei uns nicht willkommen sind. Damit würde sich Deutschland am meisten schaden.
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