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Stuttgarter Zeitung: Kommentar zur Russland-Wahl: Putins Bruch mit den Bürgern

Stuttgart (ots)

Die Endergebnisse liegen erst an diesem Montagmorgen vor. Aber darauf warten? Bei einer Wahl, die Monate vorher bereits entschieden worden ist? Auf die paar Prozentpunkte mehr oder weniger kommt es bei dem inszenierten russischen Referendum über den Amtsinhaber Wladimir Putin nicht an. Alles ist auf ihn und seine Politik zugeschnitten, ein Nachfolger, selbst in Putins Sinn, ist nicht in Sicht. An eine Alternative zu ihm ist vorerst nicht einmal zu denken. Doch die Fragen danach dürften die Kreml-Strategen in den kommenden sechs Jahren beschäftigen. Dies ist eine Herausforderung für das Land, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten einiges dafür getan hat, den politischen Wettbewerb abzuschaffen. Der 65-jährige Putin ist und bleibt für die meisten im Land Russlands Retter vor all dem Bösen in der Welt, auch ganz ohne offensichtliche Manipulationen am Wahltag. Dafür greift der lange Arm des Systems, den der einstige Geheimdienstagent über die Jahre hat aufbauen lassen, rechtzeitig ins Geschehen ein - und hat vor dieser Wahl ohne Wahl so aggressiv Werbung für eine Teilnahme an der Abstimmung betrieben, dass viele Russen den Urnengang tatsächlich als das Begleichen ihrer Schuld gegenüber dem Regime verstanden. Der mächtige Staatsapparat hat längst bewirkt, dass viele im Volk freiwillig auf ihre Beteiligung am politischen Geschehen verzichten. Ein gewisser Wohlstand, den Putin ihnen in seinen ersten beiden Amtsperioden schenkte, weil auch die Rohstoffpreise an den Weltmärkten gerade günstig für ihn ausfielen, war der Lohn für die Apathie. Zumal das sowjetische Verständnis, man halte sich aus der Politik heraus, wenn man ein ruhiges Leben führen will, in den Köpfen und Verhaltensweisen der Menschen bis heute weiterlebt. Die Russen erklären den Hang zu einem Landesvater, der mit starker Hand führt, gern mit ihrer vermeintlich anderen Mentalität, die es eben nötig habe, dass ihnen gesagt werde, wo es langgehe. Sonst sei die Ordnung dahin. Das Anderssein, die mantraartig wiederholte russische Besonderheit ist identitätsstiftend im Land. Es wird mit Selbstbewusstsein vor sich hergetragen, mit einem Stolz, der den großen Minderwertigkeitskomplex kaum zu verstecken weiß. Es ist ein Kampf mit allen Mitteln, um endlich von der Weltgemeinschaft wahr- und ernst genommen zu werden, denn das Regime will zwar kein Schmuddeljunge sein, verhält sich aber wie ein solcher. Und die Ordnung nach innen wie nach außen bröckelt längst. Die Rohstoffpreise sind gefallen, die Sanktionen und Gegensanktionen nehmen den Russen soziale Sicherheiten weg. Die Korruption grassiert wie eh und je. Die Russen sind selbst die größten Kläger über all das, was im Land nicht funktioniert. Und doch nehmen sie den oft mühsamen Alltag lieber hin als wirkliche Reformen für ein etwas entspannteres Leben zu fordern. Sie sehen die Alltagssorgen nicht verbunden mit den Entscheidungen der Politik. Diese sind wie losgelöst voneinander, was viele der Russen aber keineswegs stört. Der Bruch zwischen dem Machtapparat und den Menschen, die Gleichgültigkeit, ist aber katastrophal. Sie nehmen es fast schon dankend hin, dass ihnen die TV-Propaganda den täglichen Brei an beschönigenden Nachrichten samt Drohgebärden gen Wesen serviert, aus dem sie die Stärke ihres Landes zu schöpfen glauben. Nach außen hin pflegt Moskau so sehr sein Gangster-Image, dass ihm der Westen tatsächlich alles zutraut, selbst wenn Beweise fehlen. Die Kommunikation mit dem Kreml gestaltet sich seit der Annexion der Krim schwer, weil es keine gemeinsame Basis mehr für Gespräche zu geben scheint. In den kommenden sechs Jahren dürfte die Schärfe im Ton noch zunehmen, weil sich Russland in die Ecke gedrängt fühlt und aus der empfundenen Isolation heraus eines bestens beherrscht: drohen.

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