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WirtschaftsWoche

Wortmeldung: WirtschaftsWoche-Autor Christian Deysson über den Begriff "Zerreißprobe"

Düsseldorf (ots)

Wortmeldung: "Zerreißprobe"
In nervösen Zeiten treibt reißerische Sprache Scheinblüten.
Anstatt von Spannungen oder Auseinandersetzungen ist schnell von
„Zerreißproben“ die Rede. Kaum eine Woche, in der nicht ein paar
Nationen und Institutionen angeblich kurz vor dem Zerreißen stehen:
Die USA, Israel, die Niederlande, die Türkei oder die EU sollen nach
manchen Berichten ebenso in der „Zerreißprobe“ stecken wie die
Weltwirtschaftsordnung, das transatlantische Verhältnis, die CDU, die
SPD und die PDS, die Kirchen, das Gesundheitswesen oder der Coca-
Cola-Konzern.
Das überstrapazierte Wort kommt aus der Materialkunde: Drahtseile,
geschweißte Formteile, Kesselbleche, aber auch Papiere und
Verpackungsfolien werden Zerreißproben unterzogen, um zu ermitteln,
welchen Zugkräften das Material standhält. Entscheidend bei der
Zerreißprobe ist, dass sie bis zum tatsächlichen Riss gehen muss, um
letzte Gewissheit über die Festigkeit des Materials zu erlangen.
Spätestens hier erweist sich die Unzulänglichkeit des Sprachbildes:
Bei seltenen Kraftproben, wie etwa jetzt in der CSU, reißt
tatsächlich einmal etwas. Aber die meisten „Zerreißproben“ haben
ihren Namen schon deshalb nicht verdient, weil sie lange vor dem
Reißpunkt enden. Es sind nur harmlose Zupfrituale, bei denen kaum
etwas reißen und schon gar nichts erprobt werden kann.
Christian Deysson

Kontakt:

WirtschaftsWoche, Sekretariat Chefredaktion, Mechtild Zenke-
Stoffels, Telefon 0211 / 887 – 2114

Original-Content von: WirtschaftsWoche, übermittelt durch news aktuell

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