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WirtschaftsWoche/Standpunkt: Warum ich nicht mehr nach Davos fahre - von Chefredakteur Stefan Baron

Düsseldorf (ots)

Jedes Jahr kommen die Mächtigen dieser Welt in
den Schweizer Bergort Davos. Früher bin ich auch immer dahin
gefahren, um sie zu beobachten, mit ihnen zu diskutieren, Kontakte zu
knüpfen und Freundschaften zu schließen. Jahr für Jahr. Und jedes Mal
mit Gewinn.
Seit Jahren nun aber schon fahre ich nicht mehr nach Davos. Der
Gewinn war immer kleiner geworden. Zuletzt drohte er in einen Verlust
umzuschlagen.
Früher trafen sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos ein paar
Hundert Spitzenmanager. Die Parade der Politiker war noch erträglich,
die Atmosphäre locker. Morgens im Hotel konnte ich mich zu
Unternehmensführern aus aller Welt an den Frühstückstisch setzen,
tagsüber im Kongresszentrum im kleinen Kreis über ein
Managementproblem diskutieren oder was über Körpersprache lernen und
mich zwischendurch spontan zu Tiefschnee fahren und Brotzeit auf
einer Berghütte verabreden. Jedes Mal lernte ich etwas über die
Wirtschaft und die Welt dazu – und viele interessante Menschen
kennen.
Dann wurden die Teilnehmer immer mehr, statt ein paar Hundert ging
es in die tausende, die lockere Atmosphäre verflüchtigte sich, die
Spontaneität ging perdu, statt diskutiert wurde zunehmend propagiert,
die Politik gewann die Oberhand. Wenn ich mich mit jemandem treffen
wollte, musste ich, obwohl inzwischen Mitglied im privilegierten
Kreis der „Media Leaders“ geworden, geradezu generalstabsmäßig
vorgehen. Am Ende kam mir das Ganze nur noch wie ein großer Jahrmarkt
vor, hochkarätig gewiss wie kein zweiter, aber eben doch ein
Jahrmarkt. Und ich mag Jahrmärkte nicht.
Mir missfiel jedoch nicht nur das Gedränge und Paradieren. Mehr
noch als der äußere störte mich der inhaltliche Wandel des Forums:
Statt Managementfragen standen bald politische Themen wie
Klimawandel, Kinderarbeit, fairer Handel, Schuldenerlass oder der
Kampf gegen Aids im Vordergrund. Soweit sie nicht hinter den Kulissen
Geschäfte machten, übten sich viele Teilnehmer öffentlich zudem immer
mehr in einer Art Ablasshandel, beichteten vor der Welt ihre
geschäftsalltäglichen Sünden, demonstrierten Reue und gelobten
Besserung.
Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, diesem entweder kleinmütigen
oder verlogenen Schauspiel beizuwohnen, diesem Ja-aber-Kapitalismus
die Ehre zu geben, der überall Einzug zu halten droht: Ja zu
Privateigentum und Marktwirtschaft, aber nur mit den Adjektiven
„zivilisiert“ oder „gezähmt“ oder „sozial verantwortlich“ – als
handelte es sich dabei um atavistische, unsoziale oder unmoralische
Dinge.
Deshalb fahre ich nicht mehr nach Davos. Und ich werde erst wieder
hinfahren, wenn ich dort wieder mehrheitlich Manager treffe, die sich
für das, was sie tun, nicht entschuldigen – und sei es nur, um damit
ihre Feinde zu kalmieren.
Ich fahre erst wieder nach Davos, wenn dort die Manager wieder in
der Mehrheit sind, die keinen Anlass zu selbstlosem Handeln in ihrem
Job erkennen – schon gar nicht zu Caritas mit anderer Leute Geld.
Ich fahre erst wieder nach Davos, wenn ich dort wieder
mehrheitlich Manager treffe, die verstanden haben, dass ihre
vornehmste soziale und moralische Verantwortung darin besteht, ihr
Unternehmen erfolgreich zu führen; die sich dazu bekennen, dass ein
„gutes Unternehmen“ zu allererst ein gut verdienendes Unternehmen ist
(das Arbeitsplätze sichert und Steuern zahlt); die stolz darauf sind,
für ihre Eigentümer (Aktionäre) langfristig möglichst viel Gewinn zu
erwirtschaften und damit automatisch auch dem Allgemeinwohl zu dienen
– vorausgesetzt, sie stehen im Wettbewerb, beachten die Gesetze und
verhalten sich honorig.
Ich fahre erst wieder nach Davos, wenn ich dort nicht mehr gut
verdienende Unternehmensführer laut darüber nachdenken höre, wie sie
„etwas an die Gesellschaft zurückgeben“ können. So als hätten sie
dieser mit ihrer Arbeit etwas gestohlen.
Ich würde liebend gerne schon bald wieder nach Davos fahren!
Stefan Baron, Chefredakteur WirtschaftsWoche

Kontakt:

WirtschaftsWoche, Sekretariat Chefredaktion, Fr. Zenke-Stoffels, Tel 0211-887-2114

Original-Content von: WirtschaftsWoche, übermittelt durch news aktuell

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