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EKD - Evangelische Kirche in Deutschland

Präses Schneider und Erzbischof Zollitsch würdigen Entwicklungszusammenarbeit/ 50 Jahre Kooperation von Staat und Kirchen

Hannover (ots)

Mit einem ökumenischen Gottesdienst und einem Festakt haben heute die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland den Beginn ihrer Zusammenarbeit mit der Bundesregierung in der Entwicklungsarbeit vor 50 Jahren gewürdigt. Seit 1962 setzen sich die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZE), die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gemeinsam dafür ein, die Situation der Armen und Benachteiligten in der Welt zu verbessern. An dem Gottesdienst in der St. Elisabeth-Kirche in Bonn nahmen unter anderem Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel teil, sowie der Vorsitzende der EZE, Prälat Bernhard Felmberg, und der Vorsitzende der KZE, Prälat Dr. Karl Jüsten.

In seiner Eröffnungsansprache während des Gottesdienstes erinnerte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, daran, dass der Entwicklungsdienst der Kirchen - ebenso wie die Entwicklungspolitik des Staates - allen Menschen gelte: "Nationalität, Herkunft, Religion sind keine Begrenzungskriterien für unsere Solidarität. Allein die Bedürftigkeit zählt. Denn alle Menschen sind geliebte Geschöpfe des himmlischen Vaters." Wenn der gemeinsame Dienst Menschen zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit befähigen solle, dann setze dies neben fachlicher auch moralische Kompetenz voraus. "Kirchliche Entwicklungsarbeit nimmt für sich in Anspruch und muss sich daran messen lassen, dass sie aus der Kraft des Evangeliums handelt und von menschlichem Mitfühlen und Mitleiden inspiriert ist", so Zollitsch. "Es ist für uns Kirchen keine Festtagsrhetorik, wenn wir sagen: Die Armen selbst müssen Träger der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sein. Voraussetzungen dafür zu schaffen und Hindernisse zu beseitigen, das ist die Aufgabe staatlicher Politik und kirchlicher Entwicklungsarbeit. Unsere Solidarität will Menschen befähigen, das eigene Leben und das Leben ihrer Gemeinschaften selbstständig zu gestalten. Sie darf nie dazu führen, dass Menschen zu ewigen Schutzbefohlenen werden. Unser Handeln muss subsidiär sein."

Das betonte auch der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider. "Wir wissen aus 50 Jahren Erfahrung, dass die Armen die Kraft, den Mut, die Kreativität und den Willen besitzen, ihr Leben, ihr Umfeld und ihre Gesellschaft zu gestalten. Dabei wollen wir sie unterstützen. Der Mensch und seine eigene Handlungsfähigkeit stehen für uns immer im Zentrum unserer Förderung." Dieser Grundgedanke drohe leider immer mehr, in der Entwicklungszusammenarbeit verloren zu gehen. "Unter dem Diktat von Effizienz, Geberabsprachen und Ergebnisorientierung wird allzu leicht aus dem Auge verloren, dass die Armen den notwendigen Freiraum für ihre eigene Gestaltung und eigene Ideen haben müssen, wenn sie nachhaltig ihr Leben verändern wollen."

Erzbischof Zollitsch würdigte das Verhältnis der katholischen und der evangelischen Zentralstelle zum Entwicklungsministerium, das von Anfang an vom Prinzip der Partnerschaft und gegenseitiger Achtung geprägt gewesen sei: "Es gibt eine hohe Kooperationsbereitschaft, weil wir uns gemeinsamer Ziele verpflichtet wissen. Alle Bundesminister und Bundesministerinnen, die für das Entwicklungsressort zuständig waren, bemühten sich um Dialog, um engen Kontakt und effiziente Zusammenarbeit. Das hat den Kirchen und dem Staat gleichermaßen genutzt. Dankbar dürfen wir auf eine erfolgreiche Lernpartnerschaft zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und den beiden kirchlichen Zentralstellen zurückblicken." Von Beginn an habe sich gezeigt, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Kirchen ist: "Das gemeinsame Auftreten der beiden Zentralstellen gegenüber Bundesregierung und Parlament war immer ihr Markenzeichen. Das ist gelebte Ökumene."

Präses Schneider fügte in seiner Predigt hinzu, dass es manchmal gerade der Glauben der Armen sei, der daran erinnere, dass Gottes Kraft größer ist als die strukturelle Gewalt ungerechter Wirtschaftssysteme. Im Namen Jesu könnten auch vorgebliche Sachzwänge außer Kraft gesetzt werden. "Gottes Heilshandeln hat den Körper und die Seele des Menschen im Blick. Darum hat Jesus Christus zu den Menschen nicht nur vom Reich Gottes gesprochen. Jesus Christus hat die Menschen das Reich Gottes auch mit ihren körperlichen Sinnen erfahren lassen. Er machte gesund, die der Heilung bedurften und er schenkte ihnen mit dem Speisungswunder leibliche Nahrung im Überfluss." Mitmenschlichkeit und solidarisches Teilen dürften nicht nur leere Worthülsen sein. "Das Gottesgeschenk der Gottebenbildlichkeit ruft und befähigt uns Menschen zu Kreativität und Freiheit, um Verantwortung zu übernehmen für uns und für unsere Mitmenschen, für unsere Welt und für das von Gott geschaffene Universum. Gott will uns die Kraft schenken, Recht und Gerechtigkeit auf unserer Welt erfahrbar zu machen!"

Hannover/Bonn, 6. September 2012

Pressestelle der EKD

Silke Römhild

Es gilt das gesprochene Wort!

Predigt des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider über Lukas 9, 10 - 17 im Ökumenischen Gottesdienst am 06.09.2012, 10 Uhr in der Kirche St. Elisabeth in Bonn

50 Jahre entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche "Vertrauen auf die Kraft der Armen"

"Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich, und er zog sich mit ihnen allein in die Stadt zurück, die heißt Betsaida. Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften. Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: Lass das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier in der Wüste. Er aber sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Sie sprachen: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, dass wir hingehen sollen und für alle diese Leute Essen kaufen. Denn es waren etwa 5000 Mann; Er aber sprach zu seinen Jüngern: Lass sie sich setzen in Gruppen zu je fünfzig. Und sie taten das und ließen alle sich setzen. Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten. Und sie aßen und wurden alle satt. Und es wurden aufgesammelt, was sie an Brocken übrig ließen, zwölf Körbe voll."

Liebe Gemeinde! Eine Geschichte, die der jüdische Theologe und Philosoph Martin Buber uns überliefert hat, erzählt:

"Rabbi Bunam nämlich sagte zu seinen Schülern: Jeder von euch muss zwei Taschen in seiner Jacke haben, um bei Bedarf in die eine oder in die andere greifen zu können. In der einen Tasche liegt ein Zettel, auf dem steht: 'Das Universum ist um deinetwillen geschaffen.' Auf dem Zettel in der anderen Tasche steht: 'Du bist Staub und Asche.'"

Manchmal scheint es mir, dass viele von uns nur einen dieser beiden Zettel bei sich tragen. Denn unsere Welt leidet daran, dass Menschen eine der beiden Botschaften verabsolutieren. Unsere Welt leidet, wenn einzelne Menschen sich in all ihrem Tun und Lassen nur auf sich selbst konzentrieren. Wenn sie sich zum Maß aller Dinge machen - zum "master of the universe". Wenn Mitmenschlichkeit und solidarisches Teilen für sie nur leere Worthülsen sind.

Aber unsere Welt leidet auch, wenn Menschen ihre Bedeutungslosigkeit und ihre Ohnmacht verabsolutieren. Wenn sie kein Zutrauen haben zu sich selbst und zu anderen Menschen. Wenn sie sich stumm und tatenlos der Armut und dem Unrecht auf dieser Welt ausliefern.

Die Heilige Schrift will uns Menschen die Botschaften beider Zettel in unsere Herzen schreiben: Zum einen: Wir Menschen können die Differenz zwischen Gott, dem Schöpfer und Herrn des Lebens, und uns Menschen, seinen Geschöpfen, niemals von uns aus überbrücken. Wir Menschen haben mit unserer "Natur" Teil hat an der Vergänglichkeit alles Geschaffenen. Wir sind Staub und Asche.

Zum anderen aber: Das Gottesgeschenk der "Gottebenbildlichkeit" ruft und befähigt uns Menschen zu Kreativität und Freiheit, um Verantwortung zu übernehmen für uns und für unsere Mitmenschen, für unsere Welt und für das von Gott geschaffene Universum. Gott will uns die Kraft schenken, Recht und Gerechtigkeit auf unserer Welt erfahrbar zu machen! Darum ist das Universum um unseretwillen geschaffen.

Beide Botschaften der Zettel gehören zusammen - so wie die menschlichen Reaktionen darauf: Demut und Ehrfurcht vor Gott und Vertrauen auf Gottes Kraft, die in uns wirksam wird. Jesus Christus hat in diesem Vertrauen gelebt und er hat in diesem Vertrauen Wunder getan. Und Jesus Christus hat dieses Vertrauen seinen Nachfolgern weitergeschenkt.

Im Auftrag Jesu und im Vertrauen auf die Kraft Gottes waren die zwölf Apostel ohne Jesus von Dorf zu Dorf gezogen. Sie hatten den Menschen im Namen Jesu "das Reich Gottes gepredigt" und sie hatten viele Menschen von "bösen Geistern" und Krankheiten geheilt. Jetzt kommen sie zurück und erzählen Jesus "wie große Dinge sie getan hätten."

Und dann werden sie erneut Zeugen, wie Jesus den Menschen Nahrung für den Leib und für die Seele gibt.

Jesus weiß, dass Menschen nicht nur geistige und geistliche Speise brauchen, sondern dass auch ihr Körper nach Nahrung verlangt. Damals galt und heute gilt: Die Armen, die Hungernden und die Entrechteten dieser Welt dürfen um Gottes willen nicht allein mit frommen Worten "abgespeist" werden. Gottes Heilshandeln hat den Körper und die Seele des Menschen im Blick.

Darum hat Jesus Christus damals zu den Menschen nicht nur "vom Reich Gottes gesprochen". Jesus Christus hat die Menschen das Reich Gottes auch mit ihren körperlichen Sinnen erfahren lassen. Er machte "gesund, die der Heilung bedurften" und er schenkte ihnen mit dem Speisungswunder leibliche Nahrung im Überfluss: "Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten. Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was sie an Brocken übrig ließen, zwölf Körbe voll."

Menschen damals und Menschen heute können sich darauf verlassen, dass sie mit ihrer Seele und mit ihrem Körper auf Gottes Verheißungen trauen können. Christlicher Glaube ist mehr als eine ästhetisch schöne Sonntagsliturgie.

Manchmal ist es gerade der Glaube der Armen, der uns daran erinnert, dass Gottes Kraft größer ist als die strukturelle Gewalt ungerechter Wirtschaftssysteme. Und dass im Namen Jesu auch vertraute Logik und vorgebliche Sachzwänge außer Kraft gesetzt werden können.

Vertrauen auf Gott war für Jesus Christus und ist bis heute für seine Nachfolger und Nachfolgerinnen auch das Vertrauen auf die Kraft Gottes, die in den Schwachen und Armen wirksam ist.

Menschen, die in der Nachfolge des Gekreuzigten und Auferstandenen leben, lassen sich nicht von dem augenscheinlich Wenigen, das sie haben, entmutigen. Sie sind Staub und Asche, aber sie heben ihre Augen "auf zum Himmel". Sie danken Gott. Er hat in Jesus Christus sein ewiges Reich untrennbar mit unserer irdischen Wirklichkeit verbunden. Im Vertrauen auf den Schöpfer, der das Universum zum Wohl aller seine Geschöpfe geschaffen hat, teilen sie Gottes Gaben, sättigen andere und werden selbst satt - an Leib und Seele!

Dazu helfe Gottes Geist den Menschen dieser Welt, den Reichen und den Armen!

Amen

Eröffnungsansprache des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, anlässlich des Ökumenischen Gottesdienstes 50 Jahre entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche am 6. September 2012 in Bonn "Vertrauen auf die Kraft der Armen"

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch. Von Herzen heiße ich Sie alle willkommen zu unserem ökumenischen Gottesdienst im dankbaren Gedenken an die 50 Jahre währende fruchtbare entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche. Meine besonderen Grüße gelten Ihnen, verehrter Herr Bundespräsident, Ihnen, werter Herr Staatssekretär Beerfeltz, Ihnen Herr Ratsvorsitzender, lieber Bruder Schneider, und Ihnen, Frau Richardson, und ebenso Ihnen, lieber Mitbruder Erzbischof Ignatius. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie, verehrte Schwestern und Brüder, unserer Einladung zu diesem ökumenischen Gottesdienst gefolgt sind, und begrüße Sie herzlich - alle Mitwirkenden und ebenso alle Anwesenden. 50 Jahre Entwicklungszusammenarbeit von Kirche und Staat, 50 Jahre Evangelische und Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe - das ist ein guter Grund für einen ökumenischen Gottesdienst. Denn was aus dem Geist der Menschlichkeit erwachsen ist und so lange Bestand und Erfolg hat, weckt Dankbarkeit und verdient, gewürdigt zu werden. Jubiläen sind Anlässe, sich zu vergewissern. So fragen wir uns: Welche Orientierung können wir Christen angesichts der aktuellen Herausforderungen anbieten? Welche Begründungen liefern wir für die kirchliche Praxis der Entwicklungsarbeit? Und welche spezifischen Zielsetzungen verfolgen wir? Als Christen schauen wir zu allererst auf Jesus Christus: Der Entwicklungsdienst der Kirchen entspringt aus der Mitte unseres Glaubens. Der Herr der Kirche selbst ruft uns zu Nächstenliebe und Solidarität. Er ruft uns zum Dienst an den Menschen, die an Armut, Hunger und Unrecht leiden. Gerade den Armen, Leidenden, Ausgestoßenen und Zu-kurz-Gekommenen hat Jesus sich zugewandt. Zu solcher Zuwendung sind auch wir Christen eingeladen und verpflichtet. Denn es ist uns verheißen, dass wir Christus in seinen geringsten Schwestern und Brüdern begegnen werden. Das ist es, was die Kirchen als "Option für die Armen" bezeichnen. Der Entwicklungsdienst der Kirchen gilt - ebenso wie die Entwicklungspolitik des Staates - allen Menschen. Nationalität, Herkunft, Religion sind keine Begrenzungskriterien für unsere Solidarität. Allein die Bedürftigkeit zählt. Denn alle Menschen sind geliebte Geschöpfe des himmlischen Vaters. Alle sind seine Söhne und Töchter Gottes. Wenn unser gemeinsamer Dienst Menschen zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit befähigen soll, dann setzt dies neben fachlicher auch moralische Kompetenz voraus. Kirchliche Entwicklungsarbeit nimmt für sich in Anspruch und muss sich daran messen lassen, dass sie aus der Kraft des Evangeliums handelt und von menschlichem Mitfühlen und Mitleiden inspiriert ist. Sie erwächst aus der Liebe Gottes und macht den anderen die Kraft dieser Liebe erfahrbar. Das ist ihre gnadentheologische Grundlegung. Die Verkündigung von Papst Benedikt XVI. weist zu Recht immer wieder darauf hin, dass die soziale Arbeit von der Zuwendung des Herzens geprägt sein muss, Herzensbildung darstellt. Hier ist ein Spezifikum des Christlichen auch im Kontext der Entwicklungsarbeit angesprochen. Es ist eine genuine Zielsetzung und sozialethische Verpflichtung kirchlicher Entwicklungsarbeit Menschen zur Selbsthilfe zu befähigen. Wir alle wissen: Unsere Hinwendung zu den Armen gerät nur allzu leicht in Gefahr, paternalistische Züge anzunehmen. Als Kinder des Westens, der in den vergangenen Jahrhunderten so große Erfolge in Politik, Wirtschaft und Technologie erzielt hat, vertrauen wir gerne auf die eigene Kompetenz - auch wenn es um die Entwicklung anderer Länder und der Armen weltweit geht. Das Motto unseres Jubiläums setzt hier einen bewussten Gegenakzent. Als Christen vertrauen wir auf Gott und seine Hilfe. Und wir schauen auf die Menschen. Darum gilt: "Vertrauen auf die Kraft der Armen". Es ist für uns Kirchen keine Festtagsrhetorik, wenn wir sagen: Die Armen selbst müssen Träger der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sein. Voraussetzungen dafür zu schaffen und Hindernisse zu beseitigen, das ist die Aufgabe staatlicher Politik und kirchlicher Entwicklungsarbeit. Unsere Solidarität will Menschen befähigen, das eigene Leben und das Leben ihrer Gemeinschaften selbstständig zu gestalten. Sie darf nie dazu führen, dass Menschen zu ewigen Schutzbefohlenen werden. Unser Handeln muss subsidiär sein. Die biblische vorrangige Option für die Armen berührt daher die zwischenmenschliche Ebene. Doch hat sie stets auch die Strukturen im Blick, die einer ganzheitlichen Entwicklung aller Menschen entgegenstehen. Das Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland aus dem Jahre 1997 ist hier immer noch aktuell. Dort heißt es: "In der Perspektive einer christlichen Ethik muss alles Handeln und Entscheiden in Gesellschaft,Politik und Wirtschaft an der Frage gemessen werden, inwiefern es die Armen betrifft, ihnen nützt und sie zu eigenverantwortlichem Handeln befähigt. Die biblische Option für die Armen zielt darauf, Ausgrenzungen zu überwinden und alle am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Sie hält an, die Perspektive der Menschen einzunehmen, die im Schatten des Wohlstands leben und weder sich selbst als gesellschaftliche Gruppe bemerkbar machen können noch eine Lobby haben. Sie lenkt den Blick auf die Empfindungen der Menschen, auf Kränkungen und Demütigungen von Benachteiligten, auf das Unzumutbare, das Menschenunwürdige, auf strukturelle Ungerechtigkeit. Sie verpflichtet die Wohlhabenden zum Teilen und zu wirkungsvollen Allianzen der Solidarität."1 Dankbar erinnern wir uns in diesem Gottesdienst somit an die Geschichte der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit von Kirche und Staat in Deutschland. Im Herbst 1960 unterbreitete der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer den beiden großen Kirchen das Angebot, öffentliche Mittel für deren Entwicklungsarbeit bereitzustellen. Dahinter steckte mehr als politisches Kalkül. Konrad Adenauer war als gläubiger Christ fest vom kirchlichen Entwicklungsengagement überzeugt. Er erkannte, dass die Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika nahe bei den Armen sind. Besonders galt dies in jener Zeit für die Missionsorden und die Missionsgesellschaften. So brachten die Kirchen günstige Voraussetzungen für eine wirksame Entwicklungshilfe mit. Bundeskanzler Adenauer wusste auch: Entwicklungszusammenarbeit ist nicht nur eine Aufgabe des Staates. Sie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die das Mittun vieler verlangt. Die Kirchen konnten hier eine Schrittmacher-Funktion wahrnehmen. Ihre Hilfswerke wie Brot für die Welt und Misereor waren Anfang der 1960er Jahre bereits öffentlich anerkannt und als kompetent ausgewiesen. So konnten sie Vorreiter sein für die gesellschaftliche Entwicklungsarbeit und zugleich zur Verankerung der Entwicklungspolitik in der Bevölkerung beitragen. Das Verhältnis der katholischen ebenso wie der evangelischen Zentralstelle zum Entwicklungsministerium war von Beginn an vom Prinzip der Partnerschaft und gegenseitiger Achtung geprägt. Es gibt eine hohe Kooperationsbereitschaft, weil wir uns gemeinsamer Ziele verpflichtet wissen. Alle Bundesminister und Bundesministerinnen, die für das Entwicklungsressort zuständig waren, bemühten sich um Dialog, um engen Kontakt und effiziente Zusammenarbeit. Das hat den Kirchen und dem Staat gleichermaßen genutzt. Dankbar dürfen wir auf eine erfolgreiche Lernpartnerschaft zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und den beiden kirchlichen Zentralstellen zurückblicken. Wenn wir zudem bedenken, das auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in diesem Jahr seinen "50. Geburtstag" feiern kann, dann weist dies auf eine tiefe Gemeinsamkeit hin: 50 Jahre Hilfe für Andere. Von Beginn an zeigte sich auch, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Kirchen ist. Das gemeinsame Auftreten der beiden Zentralstellen gegenüber Bundesregierung und Parlament war immer ihr Markenzeichen. Das ist gelebte Ökumene. In Dankbarkeit, aber auch voller Hoffnung für die Zukunft feiern wir diesen Gottesdienst. Wir sind dankbar für den gemeinsamen Weg, den wir als Kirchen und Staat gehen durften. Diese Dankbarkeit tragen wir in diesem Gottesdienst vor den Herrn. Und wir denken dabei auch mit Respekt und Freude an die vielen Menschen, denen Gott den Anstoß und die Kraft gegeben hat, dieses "Zusammenspiel" zu gestalten und zu prägen. Manche sind schon verstorben, Viele im verdienten Ruhestand. Wir können heute auf das aufbauen, was sie grundgelegt haben. Lassen Sie uns vor Gottes Angesicht das Jubiläum der 50 Jahre entwicklungspolitischer Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Staat in einer Solidarität mit den Armen feiern! Lassen Sie uns um Gottes Segen für unsere weitere Arbeit und die Arbeit unserer Partner weltweit bitten! Schließlich: Bitten wir um das Vertrauen auf Gott und auf die Kraft der Armen, um Hunger und Elend besser überwinden zu helfen!

1 Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Gemeinsame Texte 9), Hannover, Bonn 1997, Nr. 107.

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Reinhard Mawick
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