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Europameister der Keime: Jedes zweite Lidl-Hühnerfleisch mit antibiotikaresistenten Krankheitserregern

Europameister der Keime: Jedes zweite Lidl-Hühnerfleisch mit antibiotikaresistenten Krankheitserregern
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Berlin (ots)

Eine europaweite Untersuchung ergab, dass Hühnerfleisch beim EM-Sponsor Lidl besorgniserregend oft mit antibiotikaresistenten und anderen Krankheitserregern belastet ist. Auf jeder zweiten Probe befanden sich Bakterien, die gegen eines oder mehrere Antibiotika immun sind. Daneben tummeln sich Fäkalkeime und Durchfallerreger auf der Mehrheit der Proben. Für Kinder, Ältere und Kranke können diese Keime extrem gefährlich werden. Das sind nicht nur schlechte Neuigkeiten für alle Grillfans, sondern ist auch ein beschämendes Ergebnis für den größten Discounter-Konzern Europas. Der Spiegel berichtete am Montag (17. Juni) über die Funde.

"Die Ergebnisse der mikrobiologischen Untersuchung von Lidl-Fleisch sollten uns alle wachrütteln. Der Ball liegt jetzt bei Lidl: Es wäre verantwortungslos, einfach weiterzumachen wie bisher. Lidl muss die Ursache für die hohe Zahl antibiotikaresistenter und sonstiger Krankheitserreger auf Fleisch angehen und für eine flächendeckend bessere Hühnerhaltung bei seinen Lieferanten sorgen", kommentiert Mahi Klosterhalfen, Präsident der Albert Schweitzer Stiftung.

Insgesamt wurden 142 Eigenmarkenprodukte aus 22 Lidl-Filialen in Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien und Polen durch ein unabhängiges Labor in Deutschland mikrobiologisch geprüft. Die Untersuchung haben die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, Animal Welfare Observatory, Essere Animali, Open Cages, die Fundacja Alberta Schweitzera und Otwarte Klatki in Auftrag gegeben. Der Fokus lag auf den wichtigsten Bakterien im Zusammenhang mit Lebensmittelinfektionen. Die Ergebnisse:

  • Antibiotikaresistenzen: Das Labor testete die Fleischproben auf ESBL-bildende Erreger, das sind potenziell multiresistente Bakterien, sowie auf MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) und wurde bei der Hälfte aller Proben fündig. Von den Proben aus Deutschland war ein Drittel belastet. Von den spanischen waren es sogar 71 % und von den englischen 58 %. Die resistenten Keime können zum Beispiel Harnwegsinfektionen, Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen hervorrufen, die auch tödlich enden können.
  • Fäkalkeime: Auf 75 % aller Proben fand das Labor zudem Fäkalkeime: Enterokokken, Escherichia coli oder beide. Sie sind Indikatoren für einen Kontakt des Fleischs mit dem Darminhalt der Tiere. Diese Keime können beim Menschen Durchfälle, Harnwegsinfekte, Blutvergiftungen oder andere Organerkrankungen verursachen. Bei den deutschen Proben betrug der Anteil an mit Enterokokken belasteten Proben überdurchschnittliche 67 %. Mehr Enterokokken-Treffer gab es nur bei den polnischen Proben mit 80 %. E. coli konnte das Labor auf der Hälfte der deutschen, auf 75 % der italienischen und auf 83 % der spanischen Proben nachweisen.
  • Salmonellen: Salmonellen fand das Labor auf 9 % der Proben. Diese stammten aus Polen und vor allem Italien, von wo 46 % der Proben belastet waren. Salmonellen können bei Menschen in schweren Fällen zum Beispiel zu Blutvergiftungen führen.
  • Listerien: Auf einem Drittel aller und einem Viertel der deutschen Proben hat das Labor Listerien nachgewiesen. In Italien waren sogar 54 % der Proben belastet. Eine Infektion mit Listerien kann bei Ungeborenen zu schweren Schäden bis hin zu Fehlgeburten und bei Menschen mit geschwächter Immunabwehr zu schweren Erkrankungen führen, die zu einem hohen Anteil tödlich enden.
  • Campylobacter: Auf jeder zweiten Probe aus Deutschland fand das Labor Campylobacter, die Durchfälle bis hin zu Lähmungserscheinungen verursachen können. Die Belastung der deutschen Proben war überdurchschnittlich. Getoppt wird das nur von Spanien, wo der Anteil der belasteten Proben bei 83 % lag.

Alle Proben wurden zwischen Dezember 2023 und März 2024 gekauft. Die Kühlkette wurde dabei streng überwacht und eingehalten. Die Proben aus Deutschland - Steaks, Schenkel, Keulen, Flügel und Schnitzel - stammten alle von der Lidl-Eigenmarke "Metzgerfrisch" und aus Haltungsform 2 ("Stallhaltung Plus"). Sie wurden in Lidl-Filialen in Berlin, Oldenburg, Duisburg und Koblenz gekauft.

Hier finden Sie die Ergebnisse der Untersuchung im Überblick.

Gefährliche Krankheitserreger aus dem Stall

Die Herkunft solcher Keime liegt, so Expert:innen, zu einem großen Teil in der Massentierhaltung. Zahlreiche Videoaufnahmen aus den Ställen europäischer Lidl-Lieferanten belegen, unter welchen katastrophalen Bedingungen Hühner (und auch Schweine) für Lidl gemästet werden: Tausende überzüchtete und kranke Tiere vegetieren in zugekoteten Ställen und zwischen toten Artgenoss:innen vor sich hin - ein Paradies für Krankheitserreger. Ist ein Tier erkrankt, erhalten alle, meist mehrere Tausend Tiere, in den sehr großen Ställen Antibiotika. Das fördert die Entstehung resistenter Bakterien.

"Man darf nicht vergessen, dass Antibiotika seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft missbräuchlich eingesetzt werden. Völlig gesunden Tieren werden Antibiotika verabreicht, die sie eigentlich nicht brauchen. Und dass nur, um qualgezüchtete Tiere in überfüllten Ställen profitabel halten zu können", erklärt Dr. Rupert Ebner, Tierarzt und ehemaliger Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer.

Geringere Besatzdichten, kleinere Gruppen und gesündere Zuchtlinien könnten den Einsatz von Antibiotika und das Risiko für Krankheitserreger dagegen senken. Allein durch den Umstieg auf langsamer wachsende Rassen konnten die Niederlande den Antibiotikaeinsatz in der Hühnermast um 40 % verringern.

Reinhild Benning, Landwirtin und Agrarexpertin der Deutschen Umwelthilfe, bringt es auf den Punkt: "Zeigen Sie Keimfleisch die rote Karte: Wer ein kolossales Eigentor in Sachen Gesundheit vermeiden will, zeigt Fleisch aus Massentierhaltung wie zum Beispiel Hähnchen von Lidl aus den untersten Haltungsstufen die rote Karte."

Antibiotikaresistenzen: Die "stille Pandemie"

Antibiotikaresistenzen zählen zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit. Weltweit sterben jedes Jahr etwa fünf Millionen Menschen mit und davon 1,27 Millionen an antibiotikaresistenten Bakterien, schätzen Expert:innen. In Deutschland sind es jährlich 45.700 Todesfälle, die im Zusammenhang mit resistenten Keimen stehen, und weitere 9.650, die direkt darauf zurückzuführen sind.

"Meinen Patient:innen würde ich vom Kauf dieser Lidl-Hühnerfleisch-Produkte abraten", so Dr. Imke Lührs, Fachärztin für innere Medizin und ehemalige Sachverständige im Bundestag, Mitglied im Vorstand "Ärzte gegen Massentierhaltung". "Die Untersuchung zeigt, dass das Fleisch mit zahlreichen potentiellen Krankheitserregern belastet ist. Auch wenn diese in der Regel nicht sofort krank machen, bleibt das Risiko, dass die Keime bei unsachgemäßer Zubereitung auf den Menschen übergehen. Im Falle unglücklicher Umstände - Vorerkrankung, Antibiotikagabe aus anderen Gründen, eine Verletzung oder Operation - können sie zu einer ernsthaften gesundheitlichen Bedrohung werden."

So sieht es auch Martin Eikenberg, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und Direktor am Institut für Allgemeine Hygiene, Krankenhaushygiene und Umwelthygiene in Bremen: "Es wird ohne Warnhinweise in den Kühlregalen der Supermärkte Geflügelfleisch mit resistenten Bakterien angeboten, bei deren Nachweis im Krankenhaus entweder immer oder in bestimmten Risikobereichen aufwändige Hygienemaßnahmen durchgeführt werden müssen. Diese Maßnahmen kosten Zeit, Geld und schränken die betroffenen Patient:innen durch z. B. Isolationsmaßnahmen erheblich ein. Bei Infektionen müssen diese Patient:innen aufgrund der Resistenzen mit schlechteren und teureren Therapien und ungünstigeren Krankheitsverläufen rechnen. Das Gesundheitssystem und die Patient:innen zahlen damit praktisch für das billige Fleisch einen hohen Preis."

Um sich zuverlässig vor Bakterien auf dem Fleisch zu schützen, müssten Verbraucher:innen Hygieneregeln wie im OP-Saal beachten. Das machen jedoch die wenigsten, auch wenn sie sich der Gefahr durchaus bewusst sind. Insbesondere beim Grillen, so wie jetzt im EM-Sommer, können Kühlketten und Hygieneregeln selten akribisch eingehalten werden. Davon abgesehen gelangen antibiotikaresistente Krankheitserreger auch aus den Ställen in die Umgebung, zum Beispiel in Gewässer, den Boden oder auf Gemüse.

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Pressematerial (FAQ, Ergebnisse im Detail, Infografiken, Interviewszenen mit Mahi Klosterhalfen, Aufnahmen aus Ställen, Produktfotos) erhalten Sie auf Anfrage: presse@albert-schweitzer-stiftung.de

Über die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt

Die Albert Schweitzer Stiftung setzt sich gegen Massentierhaltung und für die vegane Lebensweise ein. Dafür nutzt sie juristische Mittel und wirkt auf wichtige Akteure aus Wirtschaft und Politik ein, um Tierschutzstandards zu erhöhen, den Verbrauch von Tierprodukten zu reduzieren und das pflanzliche Lebensmittelangebot zu verbessern. Interessierten bietet sie fundierte Informationen und zeigt Alternativen auf. Mehr erfahren Sie auf https://albert-schweitzer-stiftung.de.

Pressekontakt:

Diana von Webel
Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt
+49 30 400 54 68-15
presse@albert-schweitzer-stiftung.de

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