Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Abmahnung der Ökonomen - Gute Bildung sichert den Wohlstand - Leitartikel von Sigrid Krause
Essen (ots)
Die letzte Mahnung kam vor sieben Monaten. Da bescheinigte die OECD dem deutschen Bildungssystem dramatische Mängel. Deutschland war unter 30 Industrienationen abgerutscht von Platz 10 auf Platz 22, viel zu wenig junge Leute studierten. Kein Wunder, dass Deutschlands Unternehmen händeringend, aber vergeblich Ingenieure suchen, befand die OECD.
Nun legt die Organisation für wirtschaftliche und Zusammenarbeit und Entwicklung "abgestimmte Empfehlungen" der 29 Mitgliedsländer vor. Die Kritik am deutschen Bildungswesen klingt zunehmend ungeduldig: Deutschland, sagt der Rest der Welt, verschleudert große Bildungspotenziale, weil es seine Kinder - vor allem die benachteiligten - zu spät und zu wenig fördert. Bekannte Schwachstellen sind auch die frühe Aufteilung der Zehnjährigen auf bis zu fünf Schulformen. Und die Hauptschule, die als "Restschule" in die Sackgasse führe, sei abzuschaffen, fordert die OECD.
Das alles geht einigen Bildungspolitikern im Land wieder viel zu weit. Auch das NRW-Schulministerium sieht sich eigentlich gut aufgestellt etwa mit seiner Initiative zur frühen Sprachförderung oder dem Recht auf individuelle Förderung. Strukturdebatten, so heißt es aus Düsseldorf, führe man nicht, denn die führten zu nichts.
Adressat der Verbesserungsvorschläge aus Paris ist allerdings der Wirtschaftsminister. Denn Bildungspolitik ist Wirtschaftspolitik, mahnen Ökonomen seit Jahren. Nicht nur, weil qualifizierter Nachwuchs aus Bildungsnationen wie Indien hergelockt werden muss. Ein Land, das sich den Luxus leistet, fast jeden vierten Jugendlichen mit den Kompetenzen von Viertklässlern in die Arbeitswelt zu entlassen, wird später viel Geld für Sozialleistungen aufbringen müssen.
Individueller Wohlstand und nationales Wirtschaftswachstum eines Landes sind untrennbar verbunden mit dem Bildungsstand der Bevölkerung. Leider geht es auch damit bergab: Die heute 45- bis 64-Jährigen weisen bessere Bildungsabschlüsse auf als die 25- bis 34-Jährigen. Was heißt das für 2018? Die OECD wird eine weitere düstere Zustandsbeschreibung in Berlin abliefern.
Oder? Vielleicht gelingt es ja auch konservativen Politikern endlich, konstruktiv über die beste Bildung ihrer Landeskinder zu streiten. Nicht aus dem Bauch heraus, sondern anhand valider Daten, Fakten und Forschungsergebnisse. Die liegen längst vor - man muss sie aber lesen und verstehen.
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