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WAZ: Die SPD und die Kohle - Wie unverbrüchliche Bündnisse enden. Leitartikel von Rolf Potthoff

Essen (ots)

Wer zwischen Fördertürmen und Kokereien aufwuchs, wer die unverbrüchliche Einheit von SPD und Montan-Beschäftigten erlebt und die tausendfachen Treueschwüre für Kumpel und Kohle gehört hat, der meint seit der rot-grünen Koalitionsbildung in NRW die Sozialdemokratie nicht mehr zu verstehen. Vom alten Bekenntnis zum Bergbau ist nur noch ein laues, so oder so interpretierbares Ja zur Kohle geblieben. Verrät die Partei Tradition und Identität?

Tatsächlich wirkt es wie die Aufkündigung eines Ur-Prinzips der Sozialdemokratie, eben der Solidarität mit der Industriearbeiterschaft - doch im Grunde folgt sie nur einem Wandel: Der Bergbau, der hier einst einer halben Million Menschen Arbeit und Brot gab, ist ein Zweig, der vor allem vom Mythos noch zehrt. Und diese Entwicklung kam nicht über Nacht. Die für viele bittere Wahrheit ist in einer Umfrage von 2002 dokumentiert. Bereits damals hielt im Ruhrgebiet eine Mehrheit die Zeit des Bergbaus für "ablaufend oder abgelaufen" und nicht wenige, die ihn ganz "abschaffen" wollten. Mit anderen Worten: Es vollzog sich die Auflösung eines Milieus der "alten" Sozialdemokratie.

Somit erscheint die Distanz der Partei heute zur Kohle beinahe plausibel. Sie geht nicht auf eine plötzliche Laune oder der Willkür einer modernisierungswütigen Parteispitze zurück, sondern folgt einem gesellschaftlichen sowie ökonomischen Wandel, der lange schon läuft. Und - er widerspricht dem Anschein zum Trotz nicht unbedingt sozialdemokratischen Idealen.

Von Anfang an strebte die Sozialdemokratie die Verbesserung, die Humanisierung von gesellschaftlichen Daseinsbedingungen an und verstand sich dabei als Bewegung des Fortschritts. Schutz und Beistand brauchte einst vor allem die (Industrie-) Arbeiterschaft, aber die große Ära der Schwerindustrie ist überholt. Die Vertreter einer "neuen SPD" meinen, den hohen moralischen Anspruch und das Fortschrittsideal der Sozialdemokratie nunmehr damit zu erfüllen, indem sie sich für Umwelt- und Ressourcen-schonenden Daseinsverbesserungen einsetzen, wovon vor allem die Kinder- und Enkelgenerationen profitieren - das macht es leichter, auf Distanz zur Kohle zu gehen.

Trotz alledem: Auch wenn der Bergbau an wirtschaftlicher Bedeutung und Zahl der Beschäftigten dem Ende entgegengeht - im Revier wird er noch immer als identitätsstiftend und "Sache des Herzens" empfunden. Das darf auch die SPD nicht übersehen, die schon mit Hartz IV an Urvertrauen eingebüßt hat. Jetzt sollten die Sozialdemokraten das Neue tun, ohne das "Alte" zu lassen.

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