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WAZ: Die verdrängte Gefahr. Leitartikel von Tobias Blasius

Essen (ots)

Und jetzt soll auch noch ein ungeklärter Sprengstoffanschlag in der Kölner Innenstadt aus dem Jahr 2001 die blutige Handschrift der "Zelle Zwickau" tragen? Die Liste all dieser Kopfschüsse, Splitterbomben und Sprengfallen, die Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 15 Jahren nach kurzer Erschütterung wie bittere, aber gottlob seltene Naturkatastrophen verdrängte, wird mit jedem Tag unheimlicher. Das Entsetzen ist deshalb so groß, weil erstmals ein brutales Gesetz der Serie erkennbar wird. Exekutionen in der unmittelbaren Nachbarschaft lassen sich nicht mehr länger auf das Konto "verirrter Einzeltäter" buchen, nicht mehr mit "Milieu-Streitigkeiten" oder "familiären Konflikten in Migrantenkreisen" erklären. Nein, plötzlich verdichtet sich alles zu einem rechtsextremistischen Terrorsystem, das ohne ideologische Bekenntnisse auch an Rhein und Ruhr wüten konnte. Vor allem lässt eine lange verdrängte Gefahr schaudern. Wenn der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger anregt, die staatlichen Instrumente des Abwehrkampfes gegen den Islamismus ganz rasch gegen Rechts in Stellung zu bringen, spricht das Bände. Unsere Freiheit musste eben am Hindukusch verteidigt werden, aber doch nicht in Dortmund-Dorstfeld. Die Furcht vor einem braunen Terror haben Politiker, Bürger und Medienschaffende seit Jahren praktisch ausgeblendet. Sie schien vornehmlich debattierfreudige Antifa-Gruppen zu beunruhigen oder hier und da bei unschönen innerstädtischen Neonazi-Aufmärschen samstagvormittags unser staatsbürgerliches Gewissen herauszufordern. Aber als politischer Faktor galten Dumpfbacken in Springerstiefeln schon lange nicht mehr. Da blätterte man sogar besorgter im Verfassungsschutzbericht unter L wie Linksextremismus. Das rächt sich nun. Die Videos der "Zelle Zwickau" leuchten unweigerlich auch die Randzonen unserer Wahrnehmung aus. Hochburgen des braunen Mobs im Ruhrgebiet etwa, die für Migranten schon lange "No-Go-Areas" sind. Verständnisvolle Gleichgültigkeit jener selbsternannten "kleinen" Leute, die aus ihrer gefährlichen Politik- und Staats-Verachtung keinen Hehl machen. Nicht zuletzt jene Verfassungsschützer und Kriminalisten, die auf dem rechten Auge eine eklatante Sehschwäche offenbaren. Fazit: Die jahrelange Blutspur der braunen "Zelle Zwickau" ist nicht nur ein Skandal der Ermittlungs- und Verfassungsschutzbehörden. Die Morde ohne ideologische Bekenntnisse rufen auch ins Bewusstsein, dass wir rechten Terror weniger ernst nehmen als islamistischen oder linksextremistischen.

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