Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Paradies am Ende - Kommentar von Lars von der Gönna
Essen (ots)
Unser täglich Brot heißt Fleisch. Menschen nehmen Gerichte nicht ernst, fehlen ihnen Bratwurst, Kotelett, Steak oder Bratenstück. So wie die meisten von uns leben, haben unsere Vorfahren sich einst das Paradies vorgestellt: Gebratene Hühner fliegen einem geradewegs in den Mund. Sie tun es täglich, millionenfach. Einen Speiseplan ohne Fleisch empfindet der Deutsche als kulinarische Unvollkommenheit. Die Rechnung dafür sind nicht die Preise, die auf dem Schlachtvieh der Discounter kleben: 2,99 für ein dickes Hähnchen, das ist nur der Bruchteil des Bons. Die Rechnung wird ganz woanders aufgemacht. In von Massenzucht verursachten Abwässern, derer wir nicht mehr Herr werden. In Medikamenten, die Jahre später möglicherweise Arztpraxen beschäftigen - und nicht die der Veterinärmediziner. Auf die Rechnung für Hähnchen, Schwein, Pute, Rind gehören auch noch: Gülle, CO2, Futter aus der Dritten Welt... Diesen Text kann man täglich schreiben. So ähnlich ist er schon geschrieben worden. Geändert hat sich fast nichts. Wir leben im Wohlstand, wir leben in einer Wissensgesellschaft. Geschützt vor dem falschen Weg hat uns beides nicht. Wir glauben, ein Recht zu haben auf Fleisch. Wir jammern, wenn wieder ein neuer Skandal aus den tageslichtfreien Ställen entkommt. Wir zeigen satt mit dem Finger auf die üblichen Verdächtigen: Bauern, Polit-Lobbyisten, Pharmakonzerne, Futterproduzenten. Das ist das Einfache. Das ist aber auch das Dumme und Rückschrittliche. Es ist an uns, zu sagen, dass wir das nicht weiter wollen: Essen, das uns krank machen kann. Tiere, die funktionieren wie Maschinen. Es ist keine anonyme Übermacht, die uns dazu zwingt. Alles ist Markt in dieser Welt: Was wir nicht nachfragen, verschwindet. Wann fangen mutige Schulen und Großkantinen an: zwei Fleischgerichte pro Woche - und Schluss. Wann zeigt uns mehr als eine Handvoll Restaurants, dass ein fleischloser Teller keine lustfeindliche Ausnahme ist? Wer Menschen sagt, gesünderes Essen ginge zu den Preisen von heute, der belügt sie. Darum hören wir das selten aus der Politik. Auch sie wird mehr Mut brauchen. Mut, die Schöpfung zu schützen und damit auch, was sich nicht immer zu Recht ihre Krone nennt. Fazit: Das gute Leben reicht nicht. Wir brauchen ein besseres - wo der Verstand regiert und kein faules System. Damit Verbraucher nicht länger Verursacher sind.
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