Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Ein geschlagener Hoffnungsträger - Kommentar von Dirk Hautkapp
Essen (ots)
Statt "Obamania", diesem ungebremsten Jubel, der dem Senator aus Illinois 2008 an der Berliner Siegessäule von 200 000 Menschen entgegenschlug, wird am Mittwoch freundlich temperierter Verdruss auf US-Präsident Obama warten. Dann tritt er am hermetisch abgeriegelten Brandenburger Tor vor handverlesenen Gästen ans Mikrofon. Die Entfremdung hat viele Gründe. Unter Obama ist das "Land der Freien" zu einem nimmersatten Überwachungsstaat geworden, der im In- und Ausland alle als Verdächtige begreift und zu gläsernen Bürgern verurteilt, aus deren Reihen dann die potenziell Bösen herausgefiltert werden. Geld und Verfassung spielen dabei untergeordnete Rollen. Der Zweck heiligt die Mittel. Republikaner in Washington sprechen nicht ohne Grund von der "vierten Amtszeit Bush". Die Eskapade aus der Kategorie "Big Brother" würde weniger durchschlagen, wenn es sich um ein isoliertes Vorkommnis handelte. Die verschleierten Hintergründe des Angriffs auf die US-Botschaft im libyschen Bengasi, der Skandal um politisch motivierte Steuernachteile für konservative Organisationen, mehrere Bespitzelungsaffären im Dunstkreis von Medien und Geheimdiensten, das Versagen beim Dauerbrenner Guantánamo, der Drohnenkrieg und die Erfolglosigkeit bei zentralen innenpolitischen Themen (Waffengesetze) ergeben ein Mosaik, das Obamas wichtigstes Gut angreift: seine Glaubwürdigkeit. Schon in der ersten Wahlperiode hatte sie gelitten, kam der einstige Hoffnungsträger kaum zum Regieren. Was nicht nur an einem auf permanenten Krawall gebürsteten Kongress lag. Obama hat den Washingtoner Politik-Betrieb unterschätzt, der noch jedem Präsidenten eine Zwangsjacke verpasst hat. Trotz mittelprächtiger Bilanz gaben die Amerikaner ihm eine zweite Chance. Verbunden damit war die Erwartung, dass der Präsident weniger brillante Reden für die Geschichtsbücher hält, sondern im Alltagsgeschäft seine Politik auch durchbringt. Doch es mehren sich die Anzeichen, dass dies ein Irrtum war. Obamas Gestaltungsmacht schwindet jeden Tag mehr. Am Brandenburger Tor wird ein Geschlagener stehen, nicht der Kennedy des 21. Jahrhunderts.
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