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WAZ: Nackter Opportunismus - Kommentar von Jens Dirksen über verhüllte Statuen
Essen (ots)
Für Griechen und Römer der Antike war Nacktheit ein Privileg der Götter, das Zeichen ihrer Unverletzlichkeit und Macht. Ein Renaissance-Maler wie der göttliche Michelangelo sah das ebenso; aber er hatte sein Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle in Rom noch nicht ganz beendet, da schickte die päpstliche Kurie schon Daniele da Volterra los, den sie später nur noch den "Hosenmaler" nennen sollten. Dessen Auftrag bestand darin, die nicht gerade wenigen als unzüchtig empfundenen Stellen in Michelangelos Deckenfresko zu übermalen.
Aber bloß, weil sich in Rom viel Sachverstand beim Verhüllen nackter Tatsachen angesammelt hat, muss man ihn nicht gleich demonstrieren, sobald sich ein Gast muslimischen Glaubens angekündigt hat. Die italienische Staatsregierung wollte ein Zeichen setzen, als sie den iranischen Staatspräsidenten Rohani auf dem Kapitol vor dem Anblick jahrhundertealter Skulpturen im Adamskostüm schützte - wir tun alles, um wieder mit dem Iran ins Geschäft zu kommen, hieß das.
Aber einem weltgereisten 67-Jährigen zu unterstellen, er ließe sich von einem solchen Anblick irritieren, hat schon fast etwas Beleidigendes. Schlimmer noch ist die Signalwirkung, die von den verbretterten Skulpturen ausgeht: Im Zweifel, heißt das, stehen wir lieber nicht zu unserer Kunst, unserer Geschichte. Das zeugt nicht nur von einem Mangel an Würde, es schwächt am Ende sogar noch die Opposition im Iran.
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