Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Trotz Infektionsrisikos holen NRW-Kliniken über 3500 Mitarbeiter zurück in den Dienst
Essen (ots)
Um Personalnöten in der Pandemie entgegenzuwirken, gehen Kliniken offenbar auch riskantere Wege. Von April bis Ende Oktober haben NRW-Krankenhäuser in mindestens 3650 Fällen Ärzte und Pfleger eingesetzt, obwohl die Betroffenen bei einem engen Covid-19-Kontakt einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt waren und für sie als "Kontaktpersonen ersten Grades" eigentlich eine Quarantänepflicht gegolten hätte. Das geht aus der Antwort des NRW-Gesundheitsministeriums auf eine kleine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor, die der in Essen erscheinenden Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ, Montagausgabe) vorliegt. Die tatsächliche Zahl könnte durchaus höher ausfallen, weil nicht alle Kliniken Angaben gemacht haben.
Medizinisches Personal darf durchaus vorzeitig wieder zur Arbeit zugelassen werden, wenn in einer Praxis oder Klinik Personalmangel herrscht und dem nicht anders beizukommen ist. Das Robert Koch-Institut (RKI) nennt aber Bedingungen: Beschäftigte müssen symptomfrei sein, einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen, sie werden wiederholt getestet und dürfen keine Risikopatienten behandeln. Fachkräfte, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt waren, dürfen eine Woche nach dem entscheidenden Kontakt wieder eingesetzt werden, jene mit einem begrenzterem Risiko auch früher. Die Freigabe gilt nur für die Arbeit. Nicht entscheidend ist, wo der Kontakt stattgefunden hat.
Der Liste nach gab es solche Fälle überall im Land. In Recklinghausen haben Kliniken 222 Fälle gemeldet, aus Gelsenkirchen wurden 98 Fälle gemeldet, aus Essen 32. In Bochum haben Kliniken in bis zu 55 Fällen Personal zurückgeholt, obwohl Angebote etwa von Zeitarbeitsfirmen vorlagen. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind bei einer Krankenhausgruppe in 70 Fällen verschiebbare Eingriffe nicht abgesagt worden.
SPD-Fraktionsvize Lisa Kapteinat sagte, sie sei geschockt von der hohen Zahl in einem Zeitraum, in dem die Situation relativ gut im Griff gewesen sei. Sie sieht NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in der Pflicht: "Gerade von einem Gesundheitsminister, der auch Arbeitsminister ist, hätte ich erwartet, dass er sich intensiver um das medizinische Personal kümmert", kritisiert Kapteinat. Die Frage sei jetzt, wie die Situation aktuell in den Kliniken aussehe und wie Laumann den Schutz der Menschen gewährleisten wolle, die an vorderster Front gegen das Virus kämpfen.
Das NRW-Gesundheitsministerium verweist auf die RKI-Regeln. Beim Umgang mit Kontaktpersonen unter medizinischem Personal konkurrierten unterschiedliche Ziele miteinander. Einerseits müsse das Risiko von Übertragungen minimiert, anderseits die akutmedizinische Versorgung gewährleistet werden.
Deutschlandweit infizieren sich immer mehr Beschäftigte in Kliniken und Praxen mit Sars-CoV-2. Wie die "Süddeutsche" berichtet, hat sich die Anzahl des betroffenen Personals zuletzt mehr als vervierfacht - von knapp 600 Infizierten Mitte Oktober auf mittlerweile ungefähr 2700. Laut Zeitung werden offenbar auch erkrankte Pflegekräfte zur Arbeit beordert.
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