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WAZ: Kein Konzerthaus für Gelsenkirchen: Von Mut und Demut - Leitartikel von Lars L. von der Gönna

Essen (ots)

Warum soll ein Kommentar im Herbst nicht lyrisch
beginnen? Wer jetzt kein Konzerthaus hat, baut sich keines mehr. Und
so fällt die Nachricht, die uns aus Gelsenkirchen erreicht, auch aus:
Es gibt dort – anders als lange gewünscht, seltsam geplant und
sündhaft teuer „ver-baut” – keine große Architektur. Es wird keine
Emscher- Philharmonie geben, kein Konzerthaus. Es wird überhaupt
nichts Neues geben. Vielleicht einen bescheidenen Rathaussaal, eine
schlichte Ergänzung. Peanuts im Grunde, selbst für einen
magersüchtigen Etat.
Ist das eine Katastrophe, eine Bankrotterklärung für den Auf- und
Umbruch, ein Armutszeugnis für die Ruhr-Kultur und ihre vielen
Anwälte? Nein, das ist es nicht. Stellvertretend, vielleicht sogar
vorbildlich für manche vergleichbare Kommune, haben hier die beiden
großen Parteien einvernehmlich die Notbremse gezogen. Und gelten
lassen, was überall gelten muss: Demut geht vor Mut beim Blick in die
Kasse.
Das ist keine Geschichte speziell aus jener Stadt, die für Manfred
Stolpe ärmer dran ist als Cottbus. Beileibe nicht. Das ist ein
Beispiel für die Einsicht in Grenzen. Gelsenkirchen wird in einer
Mischung aus Respekt und Vorsicht erkannt haben: Es gibt Dortmunds
Konzerthaus, es gibt Essens Philharmonie und schon dort, an vornehmen
Adressen, geht die Rechnung „viele Bewohner = viele Besucher” leider
längst nicht Abend für Abend auf.
Gelsenkirchen ist eine von vielen Städten dieser Region, in denen
es um nicht weniger geht als die Substanz. Ein guter Grund für alle,
das Vorhandene (von Duisburg bis Bochum nicht wenig) zu schützen. Es
ist gefährdet genug. Und ein Grund, gute, ungewöhnliche Ideen zu
haben statt Baupläne, deren Folgekosten das Sektchen beim Richtfest
gern vergessen lässt. Die Zeiten für weiche Standortfaktoren sind
hart.
Jene Kulturfreunde, Bürger und Funktionäre, die unermüdlich für
ihre Sache kämpfen, sehen sich in solchen Zeiten angegriffen. Weil es
Menschen gibt, die verzweifeln über wachsende Ghettos in ihren
Stadtteilen, über verrottete Schulen, geschlossene
Vorortbibliotheken, deren ganzes Elend im Glanz erstklassiger
Kultureinrichtungen, die die Welt zu Gast haben, für sie erst
offenbar wird. Aber das darf keine Gräben aufreißen. Es muss
zusammenführen. Zu einem Vernunfts-Bündnis, das Spielplatz nicht
gegen Logenplatz ausspielt.

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