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WAZ: Rüttgers und die CDU - Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Vielleicht wird Jürgen Rüttgers von etlichen Leuten
in seiner Partei auch nur missverstanden. Was, wenn es ihm gar nicht
um die Union und deren programmatische Zukunft ginge, sondern um die
SPD und deren lang anhaltende Zukunft in der Opposition in Nordrhein-
Westfalen?
Denn eins muss man dem NRW-Premier lassen: Von Marketing versteht
er wirklich was. Mit ein, zwei Zitaten hat er geschafft, wovon andere
träumen: bekannt zu sein, gar mit einem inhaltlichen Profil verbunden
zu werden. Politisch profilieren kann man sich nur in der
Kontroverse. Hätte in der Union niemand auf Rüttgers Thesen, die im
übrigen bei Lichte besehen reichlich banal sind, reagiert, wäre
nichts passiert. So aber, durch den diffusen, aber deutlich
wahrnehmbaren Widerspruch, sogar von Merkel selbst, hat Rüttgers
erreicht, worauf sein derzeitiger Kontrahent in der SPD, Dieckmann,
schon länger vergebens wartet.
Rüttgers Ziel ist dabei klar: stilistisch sucht er die Spur von
Johannes Rau, programmatisch will er über seine Sozialstaatsthesen
der SPD den Boden entziehen. (Dass er im Land dann mehr oder weniger
liberal regiert, ist dabei dann der eigentliche Clou.) Jedenfalls:
Kommt denn nicht Rüttgers tatsächlich am Ende wesentlich
sozialdemokratischer über die Rampe als, sagen wir: Clement oder
Steinbrück?
Bei all dem geht Rüttgers ein geringes Risiko ein. Denn er bewegt
sich in der Kontinuität der Geschichte seiner Partei in Nordrhein-
Westfalen. Der erste (frei gewählte) Ministerpräsident Karl Arnold
von der CDU wollte aus Nordrhein-Westfalen das soziale Gewissen der
Republik machen, und die Verfechter der christlichen Soziallehre
hatten noch stets ihre stärksten Bataillone eben hier. Liberal im
Sinne von wirtschaftsliberal war die CDU kaum je deutschlandweit,
schon gar nicht aber in Nordrhein-Westfalen. Vor allem war sie
katholisch wie in der Weimarer Republik das Zentrum, so katholisch
wie der Geburtskölner Rüttgers eben. Und wenn der sagt, er sei der
Chef der größten Arbeiter-Partei im Land, dann regt das vielleicht im
Sauerland so jemanden auf wie Friedrich Merz, aber anderswo versteht
man eine derartige Äußerung als Anknüpfen an den Wurzeln der Union,
die sich immerhin 1946 im westfälischen Ahlen schon mal ein
quasi-sozialdemokratisches Programm gab.
Bei aller rechts-links-Debatte: Rüttgers ist dabei, die Union
nicht nur sozial, sondern auch grün zu positionieren. Damit trifft er
ein in bürgerlichen Kreisen und darüber hinaus weit verbreitetes
Lebensgefühl.

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