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WAZ: Die Grenzen der Neugier - Kommentar von Christopher Onkelbach

Essen (ots)

Acht unvorstellbare Jahre lang lebte Natascha
Kampusch in einem Kellerverschlag, abgeschottet von der Außenwelt. 
Nun bricht die Öffentlichkeit über sie herein, leuchtet mit 
Scheinwerfern bis in den letzten Winkel ihres Verlieses, und möchte 
dies am liebsten auch mit der Seele der 18-Jährigen tun. Die junge 
Frau schottet sich erneut ab, flieht vor den Medien, sogar vor ihren 
Eltern. Eine verständliche Reaktion, möchte man meinen.
Auf der anderen Seite steht der ebenfalls verstehbare Wunsch der 
Menschen, etwas über dieses Schicksal zu erfahren. Es wäre verfehlt, 
wollte man den Medien, wollte man der Öffentlichkeit nichts als Gier 
auf eine neue Sensation, nichts als billigen Voyeurismus unterstellen
- der, da sollte man sich nichts vormachen, sicherlich auch eine 
Rolle spielt. Doch der Fall löst weit mehr aus: Entsetzen über die 
achtjährige Normalität des Grauens, Mitleid mit einem Mädchen, das 
seiner Kindheit beraubt wurde, Fragen über die Ermittlungsarbeit der 
Polizei, Mitgefühl mit den Eltern, denen ihr Kind entrissen wurde.
Es ist schwierig, die richtige Balance zu finden. Eine Balance 
zwischen den Interessen der Öffentlichkeit an dem Schicksal einer 
Person und den Bedürfnissen des tief verletzten Opfers. Schnell kann 
dabei das Pendel der Sympathie umschlagen. Solange sich Natascha 
Kampusch in die Opferrolle fügt, wird sie sicher mit einiger Vorsicht
behandelt werden. Sollte sie jedoch beginnen, sich gegen diese 
Vereinnahmung zu wehren, wird sich die öffentliche Meinung rasch 
gegen sie wenden. Als Susanne Osthoff nach ihrer Befreiung im Irak in
Talkshows auftrat, war es mit dem Mitleid bald vorbei.
Natasche Kampusch - oder ihre Berater - scheinen das zu ahnen. 
Daher hat sie sich mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Es 
ist der Versuch, selbst zu bestimmen, was sie preisgeben will. Sie 
verstehe ja, dass ihr eine "gewisse Neugier" entgegengebracht werde, 
schrieb sie in erstaunlicher Untertreibung. Doch möchte sie die 
Grenzen selbst setzen. Zugleich aber ist der Brief ein verstörend 
intimes Zeugnis, das schockiert, wenn sie sagt: "Ich habe nicht das 
Gefühl, dass mir etwas entgangen ist."
Womöglich haben wir uns zu sehr daran gewöhnt, dass Menschen vor 
der Kamera freimütig ihr Innerstes nach Außen kehren, dass die Medien
immer tiefer ins Private blicken. Die Selbstentblößung erscheint uns 
als Normalfall, der Zuschauer glaubt beinahe, ein Recht auf das 
fremde Leben zu haben. Das Schicksal der Natascha Kampusch könnte uns
lehren, dass es Grenzen gibt.

Rückfragen bitte an:

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Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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