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WAZ: Jürgen Rüttgers und die Kohle: Eine Frage der Glaubwürdigkeit - Leitartikel von Ulf Meinke

Essen (ots)

Über Monate hinweg hat Ministerpräsident Jürgen
Rüttgers den Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr erfolgreich die Schau
gestohlen. Nicht nur in NRW, auch bundesweit profilierte sich der 
CDU-Politiker als "soziales Gewissen" der Union. Das trug ihm den 
Spitznamen "Robin Rüttgers" und das Etikett "Arbeiterführer" ein. Die
gehässige Übersetzung der SPD lautet dagegen: "Sozialschauspieler".
Es geht auch um die Frage der Glaubwürdigkeit des 
Ministerpräsidenten, wenn nun um die Zukunft der deutschen Steinkohle
gerungen wird. Denn hinter dem Schlüsselbegriff "sozialverträglicher 
Ausstieg" verbirgt sich die Frage, wie Rüttgers mit 33 000 Bergleuten
und ihren Familien umgeht. Insgesamt sind es sogar rund 100 000 
Beschäftigte des RAG-Konzerns, die nur durch einen klugen 
Kohle-Kompromiss zwischen Bund, Land, Gewerkschaft und Unternehmen 
eine Perspektive erhalten. Dies verdeutlicht: Der Bergbau eignet sich
nicht für politische Show-Veranstaltungen.
Dass Rüttgers den scheinbar längst beschlossenen Kompromiss der 
Großen Koalition noch einmal infrage stellte, ist schon 
bemerkenswert. Man darf dem Ministerpräsidenten ehrenwerte Ziele 
unterstellen, wenn er sich dafür stark macht, dass die 
milliardenschweren Ewigkeitskosten nach dem Ende des Bergbaus nicht 
allein den NRW-Haushalt belasten. Schließlich ist es 
unverantwortlich, künftigen Generationen einen Schuldenberg zu 
hinterlassen, der heute durch unnötige Subventionen entsteht. Und 
doch verwundert, dass Rüttgers urplötzlich einen von CDU/CSU 
gefeierten "historischen Beschluss" noch einmal ins Wanken brachte. 
Auch wenn jeder Vergleich hinken mag: Irgendwie erinnert dies an 
Bayerns Ministerpräsidenten Stoiber, der zunächst der Berliner 
Gesundheitsreform zustimmte, um diese später zu zerreden. Beim Bürger
bleibt stets der Eindruck von Parteien-Gezänk, einem Polit-Poker auf 
dem Rücken der Beschäftigten.
Das taktische Manöver des NRW-Ministerpräsidenten bietet der 
Opposition Angriffsfläche. Ohnehin wirft sie Rüttgers vor, sonntags 
sozial zu reden, montags bis freitags dagegen marktliberal zu 
handeln. Ironischerweise fand der Kohlegipfel, der den angeblichen 
Durchbruch brachte, tatsächlich an einem Sonntag statt. Das Murren 
über Ministerpräsidenten, die regelmäßig mühsam ausgehandelte 
Kompromisse gefährden, ist weit verbreitet. Ja, Jürgen Rüttgers muss 
vor allem das Wohl Nordrhein-Westfalens im Blick haben. Doch dadurch 
darf er nicht eine in der Tat historische Weichenstellung im Kern 
gefährden.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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