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WAZ: Über die Christiansen-Nachfolge: Anne Will - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Von jetzt an hat Anne Will kein Privatleben mehr,
oder anders: Alles, was bei Normalmenschen privat ist und bleibt, 
wird bei ihr öffentlich. Denn Anne Will, schon heute bekannt, ist ab 
jetzt ein richtiger "Promi". Ein Glas Sekt zu viel, einmal einfach 
nur so dumm aus der Wäsche geschaut, oder auch ein Partnerwechsel: Es
gibt hinreichend viele Sende- und Druckstationen, für die derlei eine
"Nachricht" darstellt. Aber was soll's: Anne Will ist seit vielen 
Jahren im Geschäft, sie hat gelernt, mit ihrer eigenen Bedeutung 
umzugehen, und schließlich: Sie wollte den Job.
Leicht wird es nicht. Schon gar nicht in diesen großkoalitionären
Zeiten. Das Berliner Bündnis bewegt sich mit der Geschwindigkeit 
einer Schnecke und der Anmut einer Schildkröte; für das Fernsehen mit
seinen immer schneller werdenden Schnitten und der der Konkurrenz 
geschuldeten zunehmenden Ästhetisierung seiner Bilder ist da erst mal
nicht so viel zu holen. Das hat schon Christiansen erfahren müssen. 
Einigermaßen verstört, dass die Sendergewaltigen offenbar lange 
geredet haben über Köpfe, aber nur kurz oder eben gar nicht über 
Konzepte. Genau das aber würde lohnen: Längst ist die Themen-Auswahl 
bei Christiansen mehr oder weniger langweilig, die Gesprächspartner 
berechenbar, oder - siehe oben - eben so wie die Große Koalition ist.
Hier wären Kreativität und Courage dringend erforderlich.
"Christiansen" ist als "Ersatz-Parlament" kritisiert worden. Das 
war die Sendung nie. Tatsächlich ist eine Talkshow nur zum 
allergeringsten Teil Information. Das Fernsehen ist nun einmal ein 
Unterhaltungsmedium, das aus der Kraft seiner Bilder weitaus stärker 
lebt als von der seiner Wörter. Im Übrigen: Wer sich über die 
mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit für den Deutschen Bundestag 
beklagt, der sollte seine Kritik nicht ans Fernsehen wenden, sondern 
ans Parlament selbst. Wenn sich mehr Menschen für Fernseh-vermittelte
Politik interessieren als für die Politik selbst, dann steckt 
dahinter auch ein Auftrag an den Bundestag, nämlich: attraktiver zu 
werden. Schließlich: Wie oft bleiben denn die Abgeordneten selbst 
ihrem Arbeitsplatz fern?
Will ist kühl. Sie weiß, dass eine Sendung nicht das 
Polit-Seminar der Nation sein kann. Das liegt an den 
unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Politik ist zäh, also langsam. 
Fernsehen muss spannend, also schnell sein. Da das Fernsehen aber die
Spielregeln der Politik, ihre komplizierten Entscheidungswege, nicht 
verändern kann, wird auch Wills Sendung bleiben, was "Christiansen" 
war: eine große Illusion.

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