Auf dem Prüfstand: Die deutsche Zugabeverordnung
Frankfurt/Main (ots)
Hintergrundartikel von Prof. Dr. Hanns-Christian Salger, Rechtsanwalt in der Kanzlei Lovells Boesebeck Droste, Frankfurt/Main
Noch in diesem Monat werden das Wirtschafts- und Justizministerium einen Entwurf zur Abschaffung eines der ältesten deutschen Gesetze, der Zugabeverordnung aus dem Jahr 1932, vorstellen. Wie die beiden Ministerien ankündigten, soll nicht nur sie, sondern auch ihre Schwester, das Rabattgesetz, ersatzlos gestrichen werden. Nachdem zuletzt 1994 der Versuch gescheitert war, beide Gesetze zu kippen, wird nun Ernst gemacht. Bekanntlich sorgte die E-Commerce Richtline der EU für den notwendigen Handlungsdruck.
Das Rabattgesetz wurde in diesem Zusammenhang bereits viel diskutiert. Weniger bekannt ist die Zugabeverordnung. Dabei ist dieses Gesetz äußerst kontrovers und seine Interpretation selbst in Fachkreisen umstritten. Zeit also, es etwas näher zu beleuchten.
Die Zugabeverordnung verbietet, neben einer Hauptware oder -dienstleistung eine von ihr verschiedene Nebenware oder -dienstleistung unentgeltlich anzubieten oder zu gewähren. Die Ausnahmen sind unscharf definiert und gelten im Wesentlichen nur für handelsübliche oder geringwertige Zugaben.
So ist nach ständiger Rechtsprechung handelsüblich, was sich nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Verkehrskreise im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Gepflogenheiten hält. Was aber sind "vernünftige kaufmännische Gepflogenheiten"? Der Auslegung ist hier ein weites Feld geöffnet. Ebenso verhält es sich bei dem auslegungsbedürftigen Begriff "geringwertig". Allerdings hat die Rechtsprechung die Auslegung dieses Begriffes dadurch stark eingeschränkt, dass sich der geringe Wert eines Gegenstandes absolut bestimmt, also unabhängig von dem Wert der Hauptware. Generell setzen die deutschen Gerichte enge Grenzen für die Geringwertigkeit von Zugaben. Gegenstände von einem Wert über DM 1,00 werden regelmäßig nicht mehr als geringwertig angesehen. Dies gilt selbst dann, wenn es sich bei der Hauptware um eine mehrere zehntausend Mark teure Ware handelt, da die Geringwertigkeit einer Zugabe gerade losgelöst von dem Wert der Hauptware bestimmt wird. Es liegt daher auf der Hand, dass die Ausnahmen von der ZugabeVO nur selten zur Anwendung kommen und für den Verbraucher kaum praktische Bedeutung haben.
Die ursprüngliche Intention bei der Verabschiedung des Gesetzes war, den Einzelhandel, insbesondere den Einzelkleinhandel vor den "Auswüchsen" bei der Gewährung von Zugaben zu schützen. Dass es um die Interessen des Einzelhandels ging, zeigt sich darin, dass noch vor Inkrafttreten der ZugabeVO die Einzelhandelsverbände ihren Mitgliedern die Gewährung von Zugaben verboten hatten und die ZugabeVO insbesondere auf Drängen des Einzelkleinhandels erlassen wurde.
Diese Intention des Gesetzgebers lässt sich auch der amtlichen Begründung für den Erlass der ZugabeVO entnehmen. Danach sollten durch die ZugabeVO zum einen der Einbruch in fremde Branchen und zum anderen "Übersteigerung" im Wettbewerb verhindert werden. Durch diese Missbrauchstatbestände fühlten sich die Einzelhändler bedroht. Häufig wurden und werden als Zugaben nämlich Waren angeboten, die nicht zum eigentlichen Geschäftsbetrieb des Verkäufers gehören. Leidtragende waren in diesen Fällen also Einzelhändler, deren Waren unentgeltlich von anderen Kaufleuten angeboten wurden. Ebenso ging eine zunehmende Wertsteigerung der angebotenen Zugaben zu Lasten der Einzelhändler.
Auf Seiten der Verbraucher sollte die Zugabeverordnung vor allem eine unsachliche Kaufbeeinflussung und die Preisverschleierung durch das Gewähren kostenloser Zugaben verhindern. Gerade für die Verhinderung dieser beiden Auswüchse hätte es jedoch nicht der ZugabeVO bedurft. Denn soweit Kunden in ihrer Vorstellung über die Gestaltung oder Höhe von Preisen irregeleitet werden bzw. in ihrer Kaufentscheidung unsachlich manipuliert werden, boten die §§ 1 und 3 UWG bereits eine vollkommen ausreichende Handhabe.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Schutz des Einzelhandels vor 70 Jahren noch gerechtfertigt sein mochte, so ist es doch unbestreitbar, dass sich die Rahmenbedingungen gegenüber 1932 stark verändert haben. Europäischer Binnenmarkt, Globalisierung sowie Wandlung der Märkte von Angebots- hin zu Nachfragemärkten, verbunden mit zunehmend kritischen und die einzelnen Alternativen durchaus prüfenden Verbrauchern, sind nur einige Stichworte, welche diese Veränderung beschreiben.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass einige der Urteile, die auf Grundlage der Zugabeverordnung von 1932 gefällt wurden, heutzutage zumindest antiquiert anmuten. Dieser Eindruck wird durch die Tatsache verstärkt, dass die deutsche Rechtsprechung den Begriff 'Zugabe' im Lauf der Zeit erheblich ausgeweitet hat. Demnach gelten auch von der Hauptware nicht zu trennende Vertragskonditionen wie Garantien, Gewährleistungen, Umtauschrechte und sachnahe Serviceleistungen wie das Umnähen, Kürzen, Besticken von Kleidungsstücken oder der Transport/Zusammenbau von gekaufter Ware (z.B. Möbel) als Zugabe. In Deutschland sind solche Angebote wie Gratisessen für Kinder bei bezahlten Elternmahlzeiten, kostenfreies Autowaschen nach dem Tanken oder kostenlose Kfz-Beförderung bei Fährschiff-Überfahrten, die in anderen Ländern üblich sind, aufgrund der Zugabeverordnung untersagt. Einige Beispiele von Leistungen, die als Zugabe von deutschen Gerichten verboten wurden, veranschaulichen zudem, welche Service-Ideen es in Deutschland schwer haben:
* das Angebot eines Gebrauchtwagenhändlers, das Auto vor Kauf dem Interessenten zum Testen für 7 Tage zu überlassen (Oberlandesgericht Düsseldorf, 1994) * vierwöchiges Umtausch- und Rückgaberecht für Schmuck, das ein Händler einräumte (Bundesgerichtshof, 1989) * Stofftragetasche statt üblicher Plastiktüte, die ein Apotheker seinen Kunden anbot (Bundesgerichtshof, 1994) * Bonusmeilen eines amerikanischen Kreditkarten-Unternehmens (Bundesgerichtshof, 1998) * die Bewerbung der uneingeschränkten Garantie eines amerikanischen Bekleidungsversandhändlers (Oberlandesgericht Saarbrücken, 1998)
Durch die Zugabeverordnung von 1932 und ihre Auslegung durch deutsche Gerichte werden demnach nicht etwa Verbraucher geschützt - wie dies von Abmahnvereinen gerne angeführt wird -, sondern deren Position eher noch geschwächt, indem die Einräumung von über das gesetzlich statuierte Mindestmaß an Gewährleistungsrechten hinausgehende Ansprüchen zugunsten der Verbraucher als mit der ZugabeVO unvereinbar verurteilt wird. Andererseits besteht in der Rechtsprechung und der Literatur grundsätzlich Einigkeit, dass die Vorschriften der ZugabeVO kein Hemmschuh wahrer Leistungssteigerung sein und daher eng ausgelegt werden sollten. Gerade die Gewährung von Umtausch- und Rückgaberechten stellt aber im eigentlichen Sinne eine sachgerechte Leistungssteigerung und keine "zusätzliche Nebenleistung" dar. Daher wird die bisher praktizierte extensive Auslegung der ZugabeVO durch die Gerichte zu einem Hemmschuh für die Innovationskraft der Wirtschaft. Diese darf für die Verbraucher vorteilhafte Leistungen, die bisher in dem betreffenden Wirtschaftszweig nicht "handelsüblich" waren, eigentlich nicht einführen oder doch nur unter Hinnahme des Risikos über Jahre hinweg vor Gericht um die Zulässigkeit solcher eingeräumten Rückgabe- und Umtauschrechte prozessieren zu müssen.
Aber nicht nur die Innovationskraft der Wirtschaft leidet an der bisher praktizierten Auslegung der ZugabeVO. Der Wirtschaft wird dadurch auch ein Mittel genommen, sich besser auf die Wünsche und Bedürfnisse der Verbraucher einstellen zu können. Denn gerade aus dem Rücklauf von Waren, die nicht fehlerhaft im Sinne der Gewährleistungsvorschriften des Kaufrechts sind, sondern zurückgegeben werden, weil sie dem Kunden nicht "gefallen", kann ein Unternehmen Rückschlüsse darauf ziehen, ob seine Produkte den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden entsprechen. Vor diesem Hintergrund der negativen Konsequenzen der bisher praktizierten Auslegung der ZugabeVO sowohl auf die Verbraucher als auch auf die Wirtschaft zeigt sich die Notwendigkeit, die ZugabeVO ersatzlos zu streichen.
Dies ist um so mehr geboten, als auf der anderen Seite keine Nachteile für die Verbraucher ersichtlich sind. Soweit es zu tatsächlich unerwünschten Auswüchsen bei der Gewährung von Zugaben kommen sollte, wie Preisverschleierung, kann diesen Auswüchsen bereits hinreichend durch die im UWG vorgesehenen Regularien Rechnung getragen werden. Dies ist auch weitgehend möglich, da es sich bei den im UWG geregelten Tatbeständen regelmäßig um Generalklauseln handelt, die erst durch die Rechtsprechung konkretisiert werden. Deutsches Wettbewerbsrecht ist weitestgehend Richterrecht. Daher kann davon ausgegangen werden, dass deutsche Gerichte auch in Zukunft - ohne ZugabeVO und RabattG - die Bedürfnisse der deutschen Verbraucher angemessen schützen werden.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch wünschenswert, dass durch das Hintertürchen der Gesetzesauslegung und des angeblichen Verbraucherschutzes nicht wieder Hindernisse für den Wettbewerb aufgebaut werden, die durch das Wegfallen der ZugabeVO gerade beseitigt werden sollten. So sollte die Entwicklung der deutschen Rechtsprechung nicht dahin gehen, den Verbrauchern zusätzlich eingeräumte Rückgabe- und Umtauschrechte unter der vorgeblichen Anwendung des UWG, z.B. als "übermäßiges Anlocken", für unzulässig zu erachten. Insoweit sollte die deutsche Rechtsprechung stets auch die zunehmende Internationalisierung und Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes im Auge behalten. Werbemethoden, die in nahezu allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erlaubt sind, können nicht in Deutschland verboten sein. Das würde dem Grundgedanken des Binnenmarktes widersprechen und nicht nur die in Deutschland ansässigen Unternehmen, sondern auch die deutschen Verbraucher gegenüber ihren EU-Nachbarn diskriminieren. Gerade unter dem Gesichtspunkt der sogenannten "Inländerdiskriminierung" wurde Anfang Dezember eine schriftliche Anfrage an die Kommission des Europäischen Parlaments gerichtet. Hintergrund für die Anfrage war das erwähnte Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken, das eine von einem bekannten Versandunternehmen gewährte lebenslange Garantie auf Produkte in Deutschland als verbotene Zugabe untersagt hatte, obwohl die Garantie in dieser Form in allen Mitgliedstaaten und darüber hinaus weltweit gewährt wird.
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