Gregor Gysi: Ich hätte 1989 Nein sagen sollen, Politiker zu werden
Osnabrück (ots)
Gregor Gysi: Ich hätte 1989 Nein sagen sollen, Politiker zu werden
Politiker führt seine Herzinfarkte auf den Stress und die Anfeindungen im Bundestag zurück
Osnabrück. Gregor Gysi führt seine Herzinfarkte auf den Stress und die Anfeindungen gegen ihn als Linken-Politiker zurück. "Hätte ich gewusst, was alles auf mich zukommt, hätte ich im Dezember 1989 Nein sagen sollen, Politiker zu werden", sagte der 72-Jährige in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Ich hätte auf jeden Fall gesünder gelebt, nicht die Herzinfarkte gehabt und ein anderes, leichteres Leben geführt. Jetzt bin ich aber zufrieden, weil ich alles durchgestanden habe, aber ich vergesse auch nicht, wie ich behandelt wurde. Heute werde ich allerdings ernst genommen."
Im Bundestag sei er in den 90er-Jahren immer wieder auf Ablehnung vieler Parlamentarier gestoßen, sagte Gysi. "Mir hat mal jemand gesagt, ich hätte mich durch meine Art, zumindest bei vielen Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, noch unbeliebter gemacht, weil ich nicht dem Typ des DDR-Funktionärs entsprach, den sie kannten. Das hat sie doppelt geärgert, weil meine Partei von einem atypischen Politiker repräsentiert wurde." Er habe dabei eine "neue Seite von sich kennengelernt: die preußische Sturheit. Ich kann dann gar nicht gehen", so Gysi. "Auch die Mehrheit der Bevölkerung lehnte mich strikt ab, aber ich fand mich ja netter. Ich stimmte mit ihrer Sicht über mich nicht überein. Deshalb bin ich in so viele Talkshows gegangen und konnte Schritt für Schritt das Bild über mich korrigieren."
Doch die Quittung für den Stress habe er vor 16 Jahren erhalten, so Gysi. "Ich hatte 2004 mein Krankheitsjahr mit drei Herzinfarkten, einem kleinen Gehirnschlag und noch einer Gehirn-Operation. Mein Arzt sagte mir nach dem ersten Infarkt bereits weitere voraus und meinte, es gäbe zwei Möglichkeiten: Entweder ich sterbe und werde in Würde beerdigt, oder ich überstehe das alles und könnte danach jahrelang pflegefrei sein. Ich habe mich für die zweite Option entschieden." Dabei müsse er Folgendes beachten, sagte Gysi: "Ich muss bestimmte Tabletten nehmen und fahre zu Hause Rad. Das ist zwar langweilig, aber ich schaue dabei Fernsehen. Außerdem schwimme und wandere ich gern. Das Einzige, was ich nicht darf, ist eine bestimmte Höhe in den Bergen zu überschreiten. Ein Zweitausender geht noch."
Die DDR zu verlassen, so wie es Gysis Schwester 1985 tat, oder gar zu flüchten, kam für Gysi nicht infrage: "Meine Schwester durfte als Schauspielerin auch vorher schon ab und zu in den Westen. Sie hatte mit der DDR abgeschlossen und wollte dort nicht mehr leben. Ich hatte im Unterschied zu ihr einen fantastischen Nischenberuf gefunden, den ich gut ausüben konnte. Außerdem lebte ich alleinerziehend mit meinem Sohn George. Wenn ich meine erste Auslandsreise nach Paris genutzt hätte, um abzuhauen, dann hätte ich ihn in der DDR lassen und darum kämpfen müssen, ihn wiederzubekommen. Flucht kam für mich schon deswegen überhaupt nicht infrage."
Gysi, der neben dem Abitur auch parallel eine Ausbildung zum Rinderzüchter gemacht hat, ist heute froh über diese Erfahrung: "Mein Vater sagte mal zur mir: ,Junge, wenn du jemals in deinem Leben in einem anderen Land Asyl beantragen musst, kannst du deine Ausbildung zum DDR-Juristen vergessen, aber als Cowboy bist du weltweit gefragt.' Heute gebe ich ein bisschen damit an, indem ich sage, es war die beste Vorbereitung auf die Politik. Ich kann ausmisten, melken, also Steuern eintreiben, und ich kann mit Hornochsen umgehen."
Von der Politik kann Gysi allerdings nicht lassen, erst im Mai wurde er zum außenpolitischen Sprecher der Linken-Fraktion gewählt: "Ich musste eine Weile darüber nachdenken, aber Außenpolitik interessiert und fasziniert mich", sagte Gysi. "Deshalb habe ich zugesagt. Jetzt habe ich wieder eine Aufgabe. Ich war ja zuvor derjenige in der Fraktion, der am seltensten gesprochen hat, nur einmal im Jahr. Und seitdem ich das Amt ausübe, habe ich schon viermal im Bundestag gesprochen. Das macht mir Spaß, und ich bekomme wieder neue Verbindungen, zum Beispiel zu Botschaftern. Und die Frage, ob ich noch mal kandidiere, entscheide ich nächstes Jahr."
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