Renten-Ökonom fordert Abschaffung aller Anreize zu Frühverrentung
Osnabrück (ots)
Renten-Ökonom fordert Abschaffung aller Anreize zu Frühverrentung
Raffelhüschen: "Die Regelung muss weg, sie hätte nie in Kraft treten dürfen" - Stabilisierung des Rentenniveaus "völlig falscher Schritt"
Osnabrück. Renten-Ökonom Bernd Raffelhüschen hat die SPD-Rentenpolitik aufs Schärfste kritisiert und fordert die sofortige Abschaffung aller Anreize zur Frühverrentung. Zwar werde aus der Rente mit 63 die Rente mit 65, "aber das frühere Ausscheiden mit geringen Abschlägen bleibt möglich, und das heißt, es wird noch viel zu viele vorgezogene Ruheständler geben", sagte der Freiburger Professor im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). De facto liege das Eintrittsalter zwischen 62 und 63 Jahren. "Deswegen: Die Regelung muss weg, sie hätte nie in Kraft treten dürfen."
Seit 15 Jahren kämpfe die SPD nur dafür, dass die Menschen kürzer arbeiteten, kritisierte Raffelhüschen. "Sie hat die abschlagsfreie Rente mit 63 eingeführt, eine stetige Anhebung der Renten garantiert und die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Nicht-Rentenversicherte angehoben. Das alles geht komplett in die falsche Richtung, und das hat Kanzler Olaf Scholz nun begriffen", sagte er mit Blick auf Scholz' Äußerungen, mehr Menschen müssten bis zum regulären Renteneintrittsalter arbeiten können.
Dass sie dies nicht täten, liege nicht an den Arbeitgebern. "Heute ist jeder Arbeitgeber froh, wenn er seine Mitarbeiter halten kann, so lange es geht", sagte der Ökonom. Die "bizarren Ausnahmen" der von Franz Müntefering eingeführten Rente mit 67 hätten den dramatischen Fachkräftemangel noch verschärft. Auch körperliche Überforderung sei kein relevantes Problem. "Das Gerede von Abertausenden Dachdeckern, die nicht mehr aufs Dach können, das ist völlig übertrieben. Der Anteil derer, die am Ende ihrer Kräfte sind und für die es in den Betrieben keine angemessenen Jobs mehr gibt, ist so klein, dass er bei der Sicherung des Systems nicht ins Gewicht fällt", führte Raffelhüschen aus.
Das Vorhaben von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, das Rentenniveau zu stabilisieren, bezeichnete der Wissenschaftler als "völlig falschen Schritt". Wörtlich ergänzte er: "Hubertus Heil war das größte Unheil für die Rentenversicherung, das wir erlebt haben." Die Renten an die Lohnentwicklung zu koppeln sei "absurd". Stattdessen müssten die Bezüge für die Babyboomer gesenkt werden, weil sie weniger Kinder in die Welt gesetzt hätten. "Sie haben schließlich das Problem verursacht, für das sie ihre Nachkommen haften lassen wollen. Hubertus Heil stellt das Verursacherprinzip auf den Kopf. Ich hoffe, dass Olaf Scholz dem ein Ende bereitet und Hubertus Heil aufhält."
Eine Absenkung des Rentenniveaus hätte auch keine dramatischen Folgen, erklärte Raffelhüschen, denn: "Die Realität ist: Es gibt heute keine Gruppe in Deutschland, die weniger von Armut bedroht ist als alte Menschen." Wenn die Menschen nicht länger arbeiteten, dürfte der Anteil durch ein niedrigeres Rentenniveau allenfalls leicht wachsen. "Wird hingegen länger gearbeitet, kann die Altersarmut noch weiter gedrückt werden. Und genau da müssen wir hinkommen."
Die von FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner geplante Aktienrente werde auch nicht helfen, das System zu stabilisieren, erklärte Raffelhüschen weiter. In den kommenden Jahrzehnten fehlten 3.000 Milliarden Euro, um Beiträge und Rentenniveau stabil zu halten. "Wenn Christian Lindner davon zehn Milliarden Euro mit seinem Kapitalstock schließt, wird der Schuh nicht besonders groß. Wenn dieser Betrag auch noch durch Schulden finanziert wird, bleibt nur ein Badelatschen."
Halte die Ampel an ihrer Politik fest, "dann müssen Arbeitnehmer bald 26 bis 28 Prozent ihres Lohnes in die Rente einzahlen, und zusätzlich müssen ein bis zwei Prozentpunkte des Bundeshaushaltes in die Rentenkasse fließen", rechnete Raffelhüschen vor. Auch die Krankenkassenbeiträge würden hochgehen. "Eine Sozialabgabenquote von 55 Prozent, ist das den Jüngeren zumutbar? Nein. Es ist absehbar, dass der Generationenvertrag infrage gestellt werden wird. Wir laufen in ein hartes Verteilungsproblem zwischen Jung und Alt, daran führt kein Weg mehr vorbei", so seine Prognose.
Der Link zum Webartikel: www.noz.de/43766143
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