Westfalenpost: Ein Hoffnungsschimmer - aber keine politische Wende
Kommentar von Martin Korte zur Freilassung von Deniz Yüce
Hagen (ots)
Ist jetzt alles gut? Nein, natürlich nicht. Die Türkei hat Deniz Yücel aus der Haft entlassen. Endlich! Aber nach wie vor sitzen dort mehr als 100 Journalisten im Gefängnis; viele von ihnen wissen noch nicht einmal, was ihnen vorgeworfen wird, sechs wurden gestern zu lebenslanger Haft verurteilt. Und selbstverständlich kann die Entscheidung des 16. Februar 2018 das seit dem 14. Februar 2017 erlittene Unrecht nicht wieder ausgleichen: Yücel wurde eingesperrt, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausübte. Erleichterung ja, aber an Erdogan gerichtete Dankbarkeit ist fehl am Platz. Die Entscheidung, den Korrespondenten der "Welt" aus der Haft zu entlassen, resultiert nicht aus der Einsicht, dass ein Rechtsstaat und die Einhaltung der Menschenrechte das Fundament einer Demokratie bilden, sondern aus politischem Kalkül. Auch wenn so manche seiner Äußerungen das Gegenteil vermuten lassen: Erdogan ist nicht verrückt. Er hat sich außenpolitisch zunehmend isoliert - das dürfte sogar dem Sultan von Ankara Sorgen bereiten. Also ist er dringend auf internationale Unterstützung angewiesen, will er die von ihm zum Teil mitverursachten Flächenbrände zum Beispiel in Syrien wieder unter Kontrolle bringen. Dass er sich sogar mit dem Nato-Partner USA anlegt, beweist einerseits, wie unberechenbar die türkische Politik geworden ist. Und es zeigt andererseits, wie vorsichtig die Bundesregierung agieren muss, um nicht ein Opfer der Erdogan-Taktik zu werden, die es ins Kalkül zieht, Partnerländer gegeneinander auszuspielen. Deniz Yücel ist das Symbol der deutsch-türkischen Eiszeit. Immerhin macht seine Freilassung Hoffnung, dass Ankara an einer Verbesserung des Verhältnisses zum Westen gelegen ist. Niemand sollte aber davon ausgehen, dass Erdogan zur Vernunft gekommen ist.
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