Aachener Nachrichten: Ein Protest-Brummen; Jauch, "Pegida" und die Aufmerksamkeitsspirale; Kommentar von Joachim Zinsen
Aachen (ots)
Natürlich hat Günther Jauch das Recht, sich seine Gäste auszusuchen. Selbstverständlich steht es ihm frei, wen auch immer in seine Talkshow einzuladen. Dass er am Sonntagabend der "Pegida"-Mitorganisatorin Kathrin Oertel vor einem Millionenpublikum die Chance gab, für ihre obskure Bewegung zu werben, mag manchen ärgern. Aber solche Auftritte gehören nun mal zu einer Fernseh-Demokratie. Schön wäre es allerdings, wenn am Ende einer derartigen Veranstaltung die Öffentlichkeit ein klein wenig schlauer wäre. Das war am Sonntag nur sehr bedingt der Fall. Naja, zumindest wissen wir jetzt: Wogegen die "Pegidisten" genau demonstrieren, scheint ihnen selbst nicht so richtig klar zu sein. Die Einlassungen von Oertel erschöpften sich jedenfalls meist in platten Unzufriedenheits-Parolen, in einem vagen Protest-Brummen. Irgendwie ist da was mit abgehobenen Politikern, irgendwie ist da ein allgemeiner Unmut, irgendwie ist da eine große Verunsicherung. Das mag alles eine gewisse Berechtigung haben. Aber warum die Anhänger von "Pegida" glauben, ihren Frust bekämpfen zu können, indem sie sich in Ressentiments gegen Flüchtlinge baden, diese zu Sündenböcken abstempeln, gar von einer Islamisierung des Abendlandes schwadronieren, blieb unklar. An diesem Punkt Nachfragen zu stellen, wäre Aufgabe eines guten Moderators gewesen. Jauch machte es nicht. Gibt es eine zweite, nicht gerade neuen Erkenntnis des Fernseh-Abends, dann lautet sie: Jauch mag zwar ein netter Kerl und ein charmanter Gastgeber sein. Aber in der Rolle des politischen Journalisten ist er oft überfordert. Deshalb nähert sich das Niveau seiner Talkshow schnell dem eines politischen Dschungelcamps. Noch eine dritte Erkenntnis lässt sich aus dem Fernseh-Abend gewinnen. Nämlich: Das Thema "Pegida" ist mittlerweile reichlich überstrapaziert. Lasst die Leute doch einfach demonstrieren, bis die Sohlen glühen. Das ist ihr demokratisches Recht. Sich darüber zu freuen, dass der Protestzug in Dresden gestern wegen Drohungen ausfallen musste, verbietet sich. Aber gleichzeitig sollten wir aufhören, auf die Bewegung zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir sollten aufhören, das Phänomen medial immer weiter aufzupumpen. Wie sehr wir inzwischen in einer auf "Pegida" (und Terror) fixierten Aufmerksamkeits- und Erregungsspirale stecken, zeigt ein Beispiel vom vergangenen Wochenende. Am Samstag gingen in Berlin 50 000 Gegner des geplanten Freihandelsabkommens TTIP und der deutschen Agrarpolitik auf die Straße. Die Demonstration war größer als jede bisherige "Pegida"-Veranstaltung. Medial aber ging sie vielfach unter.
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