Aachener Nachrichten: Gelungener Start - Hundert Tage Mindestlohn, die Bilanz ist positiv. Von Joachim Zinsen
Aachen (ots)
Was haben sie gewarnt, was haben sie befürchtet, was haben sie schwarzgemalt. Der geplante Mindestlohn sei Teufelszeug, werde tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen und viele Jobs kosten, wetterten im vergangenen Jahr lautstark die deutschen Gralshüter des Neoliberalismus. Von Hunderttausenden Stellen sprach der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, um fast eine Million Arbeitsplätze bangte schlagzeilensuchend Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Inzwischen gibt es den gesetzlichen Mindestlohn seit genau 100 Tagen. Um eine endgültige Bilanz zu ziehen ist es natürlich noch zu früh. Es liegen lediglich erste Zahlen und Trends vor. Die aber lassen die angeblich so weisen Wirtschaftsforscher ziemlich dumm aussehen. Denn all ihre Horrorszenarien sind bisher an der Realität zerschellt. Nach der Einführung des Mindestlohns sind auf dem Arbeitsmarkt zwei Entwicklungen zu beobachten. Erstens sinkt die Zahl der Minijobs. Schade ist das nicht. Häufig waren Minijobber nämlich in Geschäftsmodelle eingebunden, die nur funktionierten, weil Hungerlöhne gezahlt wurden. Trotzdem - und das ist der zweite Trend - steigt die Beschäftigung. Denn die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze wächst. Das hat die jüngste Statistik der Bundesagentur für Arbeit gezeigt. Ein wesentlicher Grund für die Entwicklung ist die leichte Erholung der deutschen Binnenkonjunktur in den vergangenen Monaten. Die Nachfrage ist etwas gestiegen - dank höherer Lohnabschlüsse und dank des Mindestlohns. Diese Entwicklung gilt es zu verstetigen, zu optimieren. Deshalb sollten sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und die SPD jetzt auch nicht von all jenen verrückt machen lassen, die über zu viel Bürokratie beim Mindestlohn jammern und Änderungen am Gesetz verlangen. Weite Teile der CDU/CSU und der Unternehmerverbände waren immer gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Sie haben ihn zähneknirschend durch die Vordertüre hereinlassen müssen. Jetzt starten sie den Versuch, ihn durch die Hintertüre auszuhebeln. Nichts anderes ist nämlich ihre Forderung, die Arbeitgeber sollten doch bitteschön darauf verzichten dürfen, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu dokumentieren. Sollte diese Pflicht tatsächlich entfallen, würden Kontrollen massiv erschwert. Es wäre eine Einladung, den Mindestlohn zu umgehen. Deutschland kann, Deutschland muss sich einen funktionierenden Mindestlohn leisten. Er ist ökonomisch sinnvoll und verhindert zumindest die schlimmsten Auswüchse am Arbeitsmarkt. Armut verhindern die 8,50 Euro pro Stunde allerdings nicht, Altersarmut erst recht nicht. Dafür müsste schon ein wenig mehr gezahlt werden. Wenn es Änderungsbedarf am Mindestlohn gibt, dann an seiner Höhe.
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