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Aachener Nachrichten: Ist er wirklich cool? - Der frische Lindner und sein altbackenes Programm; ein Kommentar von Joachim Zinsen

Aachen (ots)

Man nehme einen ebenso ehrgeizigen wie eloquenten Jungpolitiker, verpasse seinem bübischen Gesicht einen Dreitagebart, setze sein Konterfei auf schicke Großplakate, die sich ästhetisch von den altbackenen Werbeträgern der Konkurrenz wohltuend abheben und schon scheint der größte politische PR-Coup der vergangenen Jahre perfekt zu sein. Christian Lindner - plötzlich der coolste deutsche Politiker seit Willy Brandt? Selbst der Chefmoderator eines großen privaten TV-Senders entblödet sich nicht, die Kandidatinnen anderer Parteien zu fragen, ob sie den Mann denn nun "scharf" finden. Willkommen im Bundestagswahlkampf 2017. Frisch, forsch, stylisch - so will Lindner rüberkommen. Es scheint zu funktionieren. Offenbar fühlt sich ein nicht geringer Teil gerade der Jungwähler von seiner Image-Kampagne angezogen. Doch mal ganz nebenbei: Am 24. September wird nicht "Germanys next Topmodel" gekürt. Es mag altmodisch klingt: Aber bei der Bundestagswahl wird immer noch über politische Inhalte entschieden. Wer tatsächlich einmal ins Programm von Lindner, pardon der FDP, hineinschaut, entdeckt darin wenig junges Denken, dafür aber viel abgestandenen Wein in neuen Schläuchen. Zum Beispiel beim Thema Arbeitswelt: Die ausufernde Leiharbeit will Lindner nicht etwa einschränken. Im Gegenteil. Lindner fordert, "die unnötigen gesetzlichen Vorschriften zur Überlassungsdauer und Entlohnung" abzuschaffen. Auch in der sachgrundlosen Befristung von Jobs, die vor allem jungen Menschen die Zukunftsplanung erheblich erschwert, sieht er kein Problem. Hauptsache, alle sind flexibel. Oder beim Thema Bildung: Lindner spricht zwar viel und gerne von lebenslangem Lernen. Aber kostenfrei? Nein, seine FDP will als einzige Partei Studenten sogar mit einer nachgelagerten Studiengebühr belasten. Nehmen wir noch das Thema Wohnungsmarkt: Gerade jungen Familien fällt es in Ballungsräumen immer schwerer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Lindner aber geht selbst die schwache Mietpreisbremse der großen Koalition zu weit. Er will sie ersatzlos streichen. Die Liste von Lindners Forderungen, die einen alten neoliberalen Geist atmen, lässt sich ellenlang fortsetzen. Bei der Altersversorgung von heute jungen Arbeitnehmern setzen er und seine Partei auf eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters (was für viele künftige Ruheständler auf eine Kürzung ihrer Altersbezüge hinauslaufen wird) sowie auf eine noch stärkere private Absicherung. Auch in der Europapolitik gilt für Lindner die Devise: Jeder ist sich selbst der Nächste. Gegenseitige Hilfe der Euro-Staaten? Nein! Lehren aus den ganzen wirtschaftlichen und politischen Problemen in Folge der Finanzkrise? Fehlanzeige! Eine Finanzmarkttransaktionssteuer? Nur ja nicht! Alles wird schon der Markt regeln. In diesem Punkt scheint sogar Finanzminister Wolfgang Schäuble mittlerweile ein kleines Stück weiter zu sein als Lindner und sein Anhang. Natürlich steht jedem anheim, in Lindner einen hippen Rebellen zu sehen. Aber bevor ihr Jubel zu laut wird, sollten sich gerade junge Wähler zumindest kurz fragen: Gehöre ich wirklich zu den Gewinnern, wenn der FDP-Chef Teile seines Retro-Programms in einer künftigen Bundesregierung umsetzen kann?

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Telefon: 0241 5101-388
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