Kommentar: Der Autokrat Wie Russlands Präsident Wladimir Putin die Demokratie mit demokratischen Mitteln aushöhlt Von Christian Rein
Aachen (ots)
Es ist schon fast 20 Jahre her, dass ein geschätzter Kollege einer großen deutschen Wochenzeitung den Begriff "Demokratur, putinesisch" geprägt hat. Damals steckte der Namensgeber, Russlands Präsident Wladimir Putin, mitten in seiner ersten Amtszeit. Inzwischen sind daraus - nach einer von Putin organisierten und kontrollierten Unterbrechung zwischen 2008 und 2012 - vier geworden. Und weitere, soviel steht nun fest, werden folgen. Möglicherweise bleibt er noch bis 2036 Staatschef.
Heute redet die russische Präsidialverwaltung ganz offen von "gelenkter Demokratie", was etwas sachlicher und freundlicher klingt, aber nichts anderes meint als eben jene "Demokratur". Der Begriff "Demokratie" ist dafür ohnehin nur ein Euphemismus: In Russland geht die Macht längst nur noch bedingt vom Volke aus. Im Parlament bestimmen Putins Stichwortgeber und Claqueure das Geschehen, die Opposition - wenn überhaupt nur noch außerparlamentarisch aktiv - wird drangsaliert, ihre führenden Köpfe wie etwa Alexej Nawalny weggesperrt, die Pressefreiheit wird systematisch eingeschränkt.
Gerhard Schröder meldet sich
Putin hat in bester populistischer Manier die Demokratie in seinem Land mit demokratischen Mitteln ausgehöhlt. Die Institutionen dienen ihm nur noch als Kulisse für seine machtpolitischen Taschenspielertricks. Denn nichts anderes ist es, wenn man frühere Amtszeiten vom Parlament annullieren lässt, um einfach noch mal von vorne (also weiter) regieren zu können - inklusive perfekt inszeniertem "Spontan-Auftritt" vor den Abgeordneten der Duma. Blickt man hinter diese Kulisse und verzichtet auf Verklausulierungen, dann ist Russland schlicht eine Autokratie, in der liberale Werte und Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Es mag Zufall sein, dass sich genau in diesen Tagen der alte Putin-Freund und -Versteher Gerhard Schröder zu Wort meldet. Der Altkanzler fordert ein Ende der Wirtschaftssanktionen, die von der EU nach der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland im Jahr 2014 verhängt worden sind. An die Stelle der Strafmaßnahmen sollte wieder Dialog treten, fordert Schröder. Außerdem müsse man Verständnis für russische Empfindsamkeiten aufbringen und sich darauf besinnen, dass Russland Nachbar sei.
Möglicherweise hat Schröder Recht: Die Sanktionen sind scheinheilig, denn natürlich ist Russland nach wie vor ein wichtiger Handelspartner. Nicht umsonst wird die Gas-Pipeline Nordstream 2 gebaut - auch gegen Widerstand aus den USA. Putin leidet unter den Strafen viel weniger als die deutsche Wirtschaft. Und natürlich: Man wird mit Putin reden müssen. Immer und immer wieder, solange er an der Macht ist. Anders werden sich Konflikte wie der nach wie vor bestehende in der Ostukraine, der in Syrien oder auch die Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm nicht lösen lassen.
Keine gemeinsame Linie
Die Herausforderung besteht darin, nicht alles hinzunehmen. Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, ist das Mindeste. Aber wenn der Westen Putins Expansionsdrang wirklich Einhalt gebieten will, dann muss er selbst als ernstzunehmender Akteur auftreten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj macht es den Europäern allerdings nicht leicht, Kiew näher an sich zu binden. Und in Nahost hat US-Präsident Donald Trump mit seinem Rückzug aus Syrien ein anderes Signal gesetzt. Die Europäer haben indes größtenteils keine Bereitschaft (und keine Mittel), dort militärisch aktiv zu werden. Sie haben aber vor allem keine gemeinsame Linie. Und die Nato hat mit der Türkei ein Mitglied, das das Bündnis schwer strapaziert.
Es sind diese Schwächen, die Putin letztlich stark machen - außen- wie innenpolitisch.
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