Aachener Nachrichten: Kommentar zu "Cicero"-Urteil: Bis hierhin und nicht weiter
Aachen (ots)
Von Georg Müller-Sieckarek / Es ist ein gutes Urteil, und es kann in seiner Bedeutung für den Rechtsstaat wie die Demokratie schwerlich überschätzt werden. Mit seiner Entscheidung im Fall "Cicero" hat das Bundesverfassungsgericht den Razzien in Redaktionen einen Riegel vorgeschoben - endlich. Und eine Linie in den Sand gezogen: bis hierhin und nicht weiter. Diese höchstrichterliche Nachhilfe ist mehr als überfällig gewesen. Längst war es nämlich übereifrigen Staatsanwälten landauf landab zur schlechten Gewohnheit geworden, Medien mit Durchsuchungsaktionen zu überziehen. Der Deutsche Journalisten-Verband dokumentiert seit 1987 fast 180 Fälle von Durchsuchungen und Beschlagnahmen - Tendenz steigend. Vordergründig ging und geht es stets um den strafbaren Bruch von Dienstgeheimnissen. De facto aber führt das unweigerlich zu einer Kriminalisierung kritischer, unbequemer Journalisten - und rührt damit an den Kern der Pressefreiheit: Denn wer Material druckt oder sendet, das der Staat aus mehr oder minder wohlerwogenen Gründen für geheimhaltungsbedürftig erklärt hat, stand bislang stets mit einem Bein in der Anklagebank. Karlsruhe bestätigt nun, was Verleger und Journalisten unisono seit Jahren beklagen: Diese Praxis ist eindeutig verfassungswidrig. Nicht allein, dass sie aus Journalisten zwangsläufig Komplizen einer vermeintlichen Straftat macht. Sie gefährdet vor allem das Vertrauen zwischen Presse und Informanten - und das ist elementar. Denn nur wer sich des Quellenschutzes wirklich sicher sein kann, wird auch in Zukunft bereit sein, heißes Material an die Medien weiterzureichen. Gemessen am internationalen Standard führt der investigative Journalismus hierzulande ohnehin eine betrübliche Randexistenz. Die Inflation von Durchsuchungsaktionen - von "taz" und "stern" bis "Monitor" und "Cicero" - war alles andere als geeignet, daran etwas zu ändern. Schallende Ohrfeige Dass es bei Geheimdienstlern, PR-Strategen und Behördenchefs wenig Begeisterung entfacht, wenn brisante Akten und Dossiers den Weg in Redaktionen und die Öffentlichkeit finden, verwundert nun wirklich niemanden. Nun, sie werden es künftig wohl still hinnehmen müssen. Demokratie lebt von der Kontrolle. Insofern ist das Urteil ein Sieg auch für die Freiheit aller; es ist zugleich eine Niederlage für eilfertige Ankläger und amtliche Vertuscher; und es ist eine schallende Ohrfeige für Politiker wie Otto Schily, der als (Verfassungs!)-Minister das hemmungslose Treiben eben dieser Staatsanwälte im Fall "Cicero" noch meinte vehement verteidigen zu müssen. Mitunter kann das Wirken des Bundesverfassungsgerichts wahrlich ein Segen sein.
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