Dossier zum Tag der Gebärdensprache am 23.9.
Dossier zum Tag der Gebärdensprache am 23.9.
Sprache in 3D
Sie hat eine feste Grammatik, unterscheidet sich von Land zu Land, kennt regionale Dialekte und funktioniert auch durch geschlossene Fenster: Gebärdensprache. Allein in Deutschland nutzen rund 200.000 Menschen Hände, Mimik und Körperhaltung zur Kommunikation – auch an der Universität Duisburg-Essen (UDE).
Liebe Redaktion,
auf https://www.uni-due.de finden Sie ab dem 23.9. unser Dossier zum Internationalen Tag der Gebärdensprache:
Wie kommuniziert das Team des Druckzentrums untereinander, da zwei Kollegen gehörlos sind? Kann man in Gebärden gendern? Wie folgen gehörlose Studierende der Online-Vorlesung? u.v.m
Gerne vermitteln wir Ihnen Partner:innen für ein Interview. Sprechen Sie uns einfach an:
Birte Vierjahn, Tel. 0203/37 9-2427, birte.vierjahn@uni-due.de
Als kleinen Vorgeschmack finden Sie anbei einen Auszug aus dem Interview mit der Tauben* Studentin Sarah Espey, den Sie gern für Ihr Medium verwenden dürfen.
Ein Foto von Sarah Espey stellen wir Ihnen für die Berichterstattung unter folgendem Link zur Verfügung:
https://www.uni-due.de/de/presse/pi_fotos.php (© privat)
Studieren ohne zu hören
Multitasking für die Augen
Ihre Muttersprache formt sie mit Händen und Mimik, sie versteht mit den Augen: Sarah Espey ist Taub* und mit der Deutschen Gebärdensprache (DGS) aufgewachsen. Die 24-Jährige geht im Oktober in ihr 5. Semester des Studiengangs ‚Soziale Arbeit‘ an der UDE. Welche Unterstützung sie dafür nutzt, entscheidet sie selbst. Ein Interview.
Warum haben Sie sich für ein Studium der Sozialen Arbeit entschieden?
Ich wollte schon immer im sozialen Bereich arbeiten, weil ich die Interaktion mit Menschen mag, davon fasziniert bin und sie zudem relevant finde. Im Abitur hatte ich Erziehungswissenschaften als Leistungskurs, da kam in der Zwölften das Thema ‚Kinder- und Jugendhilfegesetz‘. Da wusste ich: In dem Bereich möchte ich arbeiten! Mein Ziel ist es nicht, den Menschen zu helfen, sondern sie mit meinen Fähigkeiten zu positiven, eigenständigen Persönlichkeiten zu entwickeln und zu bestärken, insbesondere Taube Menschen.
Sie sind taub. Oder gehörlos?
‚Taub‘ ist für mich ein ausdrucksvollerer Begriff als ‚gehörlos‘, weswegen ich persönlich ‚Taub‘ bevorzuge. Es ist eine Frage des individuellen Geschmacks. Dennoch werden beide Begriffe oft mit Negativem assoziiert: ‚Taub‘ wird mit ‚taubstumm‘ gleichgesetzt. Das sind wir nicht und empfinden das Wort als beleidigend. ‚Gehörlos‘ klingt wegen des ‚-los‘ abwertend, wie hilflos. Wir Tauben benutzen in der DGS keines dieser Wörter, sondern einfach die Gebärde ohne das Mundbild – je nach Kontext aber mit Mundgestik. Die Worte ‚gehörlos‘ oder ‚taub‘ kommen aus der deutschen Laut- bzw. Schriftsprache und da das beides Fremdsprachen für uns sind, können sich viele nicht mit den Begriffen identifizieren.
Wie nehmen Sie an einer Präsenzvorlesung teil?
Da ist es mir wichtig zu erwähnen, dass jeder individuell ist und die Frage vom Hörstatus, persönlichen Vorlieben und der eigenen Identität abhängt: Bei mir ist das so, dass ich Gebärdensprachdolmetscher:innen bevorzuge, die die gesprochene Sprache in die DGS übersetzen und umgekehrt. Die Kosten übernimmt das Sozialamt. Ich organisiere die Stühle für meine Dolmetscher:innen in den Räumen, wo meine Veranstaltungen stattfinden und sitze oft im vorderen Bereich, damit ich sie anschauen kann und wahrnehme, was sie übersetzen. Parallel schaue ich die Folien an und mache mir gleichzeitig Notizen. Deshalb muss ich oft nacharbeiten, um alles wirklich aufzunehmen. Allgemein informiere ich die Dozierenden immer vor der Vorlesungszeit über meine Situation, damit sie sich darauf einstellen können, wenn die Dolmetscher:innen neben ihnen auf der Bühne sitzen. Es sind übrigens immer zwei Personen, die sich im 15-Minuten-Takt ablösen. Denn Simultandolmetschen ist sehr anstrengend, bleibt aber so konstant auf professionellem Level.
Haben Sie guten Kontakt zu Ihren Kommiliton:innen? Gibt es oder gab es anfangs Hemmungen, aufeinander zuzugehen?
Ja, mit einigen Kommilitonen habe ich guten Kontakt aufgebaut und ich bin sehr froh, dass ich sie kennengelernt habe. Am Anfang wussten sie nicht so recht, wie man mit mir umgehen oder kommunizieren soll. Manche haben noch nie einen Menschen mit Hörbehinderung getroffen, daher ist es eine neue Erfahrung für sie. Der erste Schritt ist immer schwer, aber danach spielt sich das von allein ein. Nun verständigen wir uns ohne Probleme, indem wir beide aufeinander zugehen und uns anpassen.
Wie kommen Sie mit der Maskenpflicht zurecht?
Eigentlich ganz gut, weil ich sie für wichtig halte. Und ich lese sehr ungern von den Lippen ab, weil es erstens zu anstrengend ist und man zweitens nur maximal 30 Prozent des Gesagten erfassen kann. Ich lese nur im Notfall ab, da es nur einseitig aktive Kommunikation ist und ich der Meinung bin, dass sich für eine gelungene Kommunikation beide Seiten aktiv beteiligen sollen. Wenn jemand mit Maske mit mir kommuniziert, bitte ich die Person oft, die Maske abzunehmen, damit ich Mimik und Mundbild wahrnehmen kann, weil mir das beim Verstehen hilft, aber das ist kein Lippenlesen. Leider merke ich oft nicht, wenn jemand mit Maske zu mir spricht, dann denkt derjenige oft, ich ignoriere ihn absichtlich, was natürlich nicht stimmt. Dann muss ich darauf hinweisen, dass ich nichts höre und dass die Menschen mich antippen sollen, damit ich reagieren kann.
Was wünschen Sie sich von der UDE?
Dass sie sich mehr für Offenheit, Vielfalt und Toleranz einsetzt und dies auch öffentlich präsentiert und betont: Zum Beispiel mit Untertiteln in Videos, aber auch generell mit mehr Austauschprogrammen für Menschen mit Behinderung. Dass unsere Bedürfnisse stärker berücksichtigt werden und sich die Uni modernisiert – im Denken und von der Ausstattung her. Da sehe ich noch zu viele Barrieren. Es ist wichtig, dass Dozierende – oder grundsätzlich alle – über das Thema Taubheit aufgeklärt werden und wissen, wie sie mit Tauben Menschen umgehen können. Wir sind zwar eine Minderheitsgruppe, aber das ist eben Vielfalt.
* Als ‚Taub‘ mit großem ‚T‘ bezeichnen sich viele nicht hörende Menschen – unabhängig davon, ob sie taub, resthörig oder schwerhörig sind. Sie unterstreichen damit, dass sie Taubheit nicht als Defizit ansehen.
Redaktion: Birte Vierjahn, Tel. 0203/37 9-2427, birte.vierjahn@uni-due.de
Ressort Presse/Redaktion Stabsstelle des Rektorats Universität Duisburg-Essen http://www.uni-due.de/de/presse