Mittelbayerische Zeitung: Macht Europa nicht kaputt
Regensburg (ots)
Von Stefan Stark
Freude, schöner Götterfunken: Jetzt sind wir alle Friedensnobelpreisträger. Denn wen sollen die Osloer Preisrichter nun anrufen, um ihm die große Ehre mitzuteilen? Den EU-Kommissionspräsidenten? Den Ratspräsidenten? Den Präsidenten des Europaparlaments? Vielleicht die EU-Außenbeauftragte? Oder sollen die Norweger mal nach Zypern durchläuten, das derzeit den Vorsitz im Rat der Europäischen Union hat? Allein das deutet die Problematik an, die die Auszeichnung für den Kontinent mit sich bringt. So gesehen kann sich nun jeder EU-Bürger als Friedensnobelpreisträger fühlen - alle sollten mit dem Postschiff von Hurtigruten ein Krümelchen davon zugestellt bekommen. Doch die große Frage lautet, wie wir die Ehre eigentlich verdient haben, plötzlich in einer Reihe mit Albert Schweitzer, Nelson Mandela und Mutter Teresa zu stehen. Und vor allem verwundert es, wie die Staats- und Regierungschefs der Union nun plötzlich solche Hymnen auf Europa anstimmen, wo sie doch seit Ausbruch der Schuldenkrise ein verheerendes Bild abgeben. Die Europäer sind zerstritten wie nie seit Geburt der EU. Gerade drei Tage ist es her, dass die Bundeskanzlerin in Athen mit Nazi-Schmähplakaten beschimpft wurde. Der Norden giftet gegen den angeblich faulen und verschwenderischen Süden. Die Mittelmeerstaaten schießen zurück und verteufeln das Spardiktat der Deutschen als faschistische Invasion. Die Währungsunion droht auseinanderzufliegen, und in einzelnen Staaten machen sich Nationalismus und Egoismus breit. Die Euro-Krise legt gnadenlos offen, dass die EU nur bei schönem Wetter gut funktioniert. Da kommt der Friedensnobelpreis ähnlich überraschend daher, wie die voreiligen Vorschusslorbeeren des Osloer Komitees auf US-Präsident Barack Obama vor drei Jahren. Laut dem Testament des Preisstifters Alfred Nobel soll eigentlich derjenige ausgezeichnet werden, der im vergangenen Jahr am meisten für den Frieden getan hat. Von Obama konnte man das 2009 nun wirklich nicht behaupten. Und bei der Preisvergabe in diesem Jahr an die EU muss man konstatieren, dass die Sternstunden der Europäischen Union schon eine ganze Weile zurückliegen. Der Nobelpreis würdigt die Versöhnung des Kontinents nach dem 2. Weltkrieg. Es ist erst drei Generationen her, dass sich die heutigen Freunde Deutschland und Frankreich als erbitterte Feinde gegenüberstanden. Als unsere Großväter Kinder waren, überzogen Hitlers Armeen Europa mit dem mörderischsten Krieg der Geschichte. Es sei auch daran erinnert, dass in den heutigen Euro-Krisenländern Spanien und Griechenland bis in die 1970er Jahre Militärdiktaturen herrschten. Und daran, dass in den 1990er Jahren drei blutige Kriege vor der Haustüre der EU im ehemaligen Jugoslawien geführt wurden. Heute ist ein militärischer Konflikt unter den-europäischen Nationen undenkbar. Seit Jahrzehnten herrscht Frieden, wo sich in den Jahrhunderten davor die Staaten untereinander bis aufs Blut bekämpften. Das ist das große Verdienst der EU. Die Union ist der große Friedensgarant. Darauf darf Europa, darf jeder von uns stolz sein. Diese Erfolgsgeschichte rechtfertigt den Friedensnobelpreis. Doch wirklich Sinn ergibt die Verleihung nur, wenn man die Würdigung der Vergangenheit als Mahnung für die Zukunft begreift. Wer die EU auf den Euro reduziert, oder auf eine Freihandelszone, setzt das Vermächtnis der europäischen Gründer- und Ziehväter aufs Spiel. Brüderlichkeit, Frieden, Demokratie, Wohlstand - das ist die Botschaft, die Adenauer/de Gaulle, Schmidt/Giscard, Kohl/Mitterrand verkörperten. Der Friedensnobelpreis signalisiert, dass wir die EU als Erbe und Verpflichtung begreifen sollten: Dazu, dass wir uns durch die Euro-Krise Europa nicht kaputtmachen lassen.
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