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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Norbert Mappes-Niediek zu EU/Kroatien

Regensburg (ots)

Braucht Europa mitten in seiner größten Krise wirklich ein neues Mitglied? Wer aus der Exportschwäche Kroatiens, der Arbeitslosigkeit, der hohen Verschuldung Hinweise auf künftige Belastungen der Union ableitet, hat leider recht. Nicht recht hat, wer aus alledem schließt, Kroatien und die anderen Länder im Südosten Europas sollten noch länger vor der Tür warten. Was die Erweiterungsskeptiker stets vergessen, ist die Gegenrechnung aufzumachen. Was würde passieren, wenn Kroatien - und mit ihm die Nachbarn Serbien, Bosnien, Montenegro - draußenblieben? In diesen Tagen hört man wieder den Ratschlag, die Gemeinschaft solle sich vor der Aufnahme neuer Mitglieder erst einmal "in Ruhe" vertiefen. Aber wenn man die beitrittswilligen Länder aus den Strategiepapieren der EU streicht, verschwinden sie damit noch lange nicht von der Landkarte. Sie bleiben, wo sie sind, und sie werden sich bemerkbar machen. Ihre Probleme werden draußen größer als drinnen, und weder ein Ozean noch ein Rio Grande trennt uns von ihnen. Welches Konfliktpotenzial die Region zu bieten hat, konnte die Welt in den kriegerischen Neunzigerjahren studieren. Slowenien und Kroatien durften sich Hoffnungen auf Zutritt zur Festung Europa machen, die anderen Republiken noch nicht. Das hat den Zerfall Jugoslawiens beschleunigt. Hätte Europa ganz Jugoslawien mit allen seinen Problemen damals schon aufgenommen, wäre die Katastrophe wohl ausgeblieben. Der zehnwöchige Kosovo-Krieg war etwa so teuer wie zehn Jahre Osterweiterung. Der lange Weg zum Beitritt - Kroatien hat volle sieben Jahre lang verhandelt - war ein Weg der Modernisierung, der Demokratisierung, der Verwestlichung. Der Weg war nicht der einzig mögliche. Nach dem Krieg noch, bis zum Tode des Staatsgründers Franjo Tudjman, ist Kroatien zunächst einen autoritären Sonderweg gegangen. Als nach dem Kosovo-Krieg die Tür nach Europa endlich offenstand, haben die Wähler kehrtgemacht, und die unterlegene Partei lief der Entwicklung eilig hinterher. Ein paar Jahre später schwenkte auch in Serbien eine autoritäre, nationalistische Opposition auf Europa-Kurs um, weil ihr sonst die Wähler davongelaufen wären. Die europafreundlichen Kroaten haben den Magneten Europa gebraucht und genützt. Wo er fehlt, breitet sich Chaos aus. Die "Ruhe", in der wir im Westen uns vertiefen könnten, wird der Balkan uns nicht lassen; mit Norwegen oder der Schweiz sind Serbien oder Bosnien nicht zu vergleichen. Die Politikermetapher von der "Reifung", die der Osten noch zu durchlaufen habe, trifft den Sachverhalt schlecht. Nichts "reift" da, nichts braucht einfach nur Zeit. Vielmehr wird in allen beitrittswilligen Ländern offen oder verdeckt über das Ziel Europa gestritten. Im Grunde, so das Rückzugsargument der Skeptiker, sei aber doch der Weg das Ziel: Solange die Länder sich auf den Beitritt vorbereiteten, reformierten sie sich. Seien sie erst mal drin, sei es damit vorbei, wie man am Beispiel Rumäniens und Bulgariens gesehen habe. Daran stimmt, dass sich nach dem enormen Tempo vor dem Beitritt wohl auch Kroatien erst einmal eine Reformpause gönnen wird. Aber auf mittlere Sicht wird und muss es sich mit den anderen Mitgliedsländern vergleichen. Noch in allen EU-Ländern hat die Präsenz in den vielen Unionsgremien einen Wandel durch Annäherung mit sich gebracht. Irgendwann muss das Versprechen auf Beitritt auch eingelöst werden, wenn es wirken soll. Wie es ausgeht, wenn man dazu nicht bereit ist, kann man an der Türkei lernen, wo die EU den Pro-Europäern mit ihrer jahrelangen Hinhaltetaktik eine programmierte, nachhaltige Niederlage bereitet hat. Stabilität in ganz Europa ist für die inzwischen labil gewordene Union heute noch wichtiger, als sie es in den Neunzigerjahren war. Wenn wir die Südosterweiterung stoppen, haben wir kein Problem weniger. Im Gegenteil: Wir bekommen noch eins dazu.

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