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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Hanna Vauchelle zu Migration/EU-Sozialtopf

Regensburg (ots)

Als Sozialkommissar hat Laszlo Andor einen undankbaren Job. Er kümmert sich um ein Ressort, das eigentlich in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten liegt. Umso größer ist der Ärger in den Hauptstädten, wenn sich der Ungar trotzdem äußert - so wie im aktuellen Streit über Sozialleistungen für EU-Zuwanderer. Dann reagiert man vor allem in München und Berlin mit großer Empörung. Wie könne Brüssel es wagen, sich in die deutsche Sozialgesetzgebung einzumischen, dröhnt es schon seit Tagen. In der Tat kann die Kommission das tun, sie muss es sogar. Denn Europa entscheidet darüber, ob EU-Ausländern deutsche Sozialleistungen zustehen. Als "übermäßig emotional und verfehlt" bezeichnete der Sozialkommissar die Debatte über Armutsmigration in manchen Mitgliedsstaaten. Auf Deutschland trifft diese Feststellung mit Sicherheit zu. Seit am vergangenen Wochenende bekanntgeworden ist, dass die EU-Kommission an den Festen des deutschen Sozialrechts rüttelt, scheint sich die Republik im Ausnahmezustand zu befinden. Man kann eigentlich nur noch darüber staunen, zu welchen Einlassungen sich CDU- und CSU-Politiker mit Blick auf Brüssel hinreißen lassen. Etwas mehr Sachlichkeit würde der Debatte tatsächlich gut tun. Denn die Wehklagen und das ewige Einhauen auf das ach so böse Brüssel, bringen zum einen nichts und zum anderen verkennen sie die Realität. Denn richtig ist doch: "Brüssel" oder die EU sind nicht der Hort alles Bösen, sondern schlicht das Resultat dessen, was die Mitgliedsstaaten in den letzten 60 Jahren gestaltet haben. Dies sollten sich die Europa-Parteien CDU und CSU in diesen Tagen vor Augen halten. Dann könnten sie vielleicht auch akzeptieren, dass es die Aufgabe der EU-Kommission ist, auf die Einhaltung des europäischen Rechts zu achten, auf das sich alle Staaten verpflichtet haben. Dies beginnt beim Europäischen Fürsorgeabkommen aus dem Jahr 1953 und endet bei der Richtlinie über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen von 2004. Dazwischen liegen die Antidiskriminierungsrichtlinie und die Verordnung zur Koordinierung der Sozialsysteme, die allen EU-Bürgern ein Recht auf soziale Grundsicherung eröffnet: In diesen 51 Jahren haben die Mitgliedsstaaten im Rahmen der Freizügigkeit ihre Sozialsysteme immer weiter miteinander verzahnt. Immer vorne mit dabei, weil zumeist an der Macht: CDU- und CSU-Politiker. Jetzt auf einmal so zu tun, als habe man mit diesem ganzen Prozess nichts am Hut, ist kaum mehr als eine billige Wahlkampfmasche. Neben mehr Sachlichkeit würde der Debatte auch eine Prise Selbstkritik gut stehen. Aber davor fühlt man sich in München und Berlin gefeit. Zu Unrecht, wie sich ebenfalls an diesem Wochenende gezeigt hat. So fordern Deutschlands Konservative unermüdlich Unterstützung von der EU, um deutschen Kommunen beim angeblichen Ansturm von Armutsmigranten aus Rumänien und Bulgarien zu helfen. Gleichzeitig ist nun bekanntgeworden, dass Deutschland nur 63 Prozent der im EU-Sozialfonds liegenden Mittel abgerufen hat, die zur Eingliederung eben dieser Minderheiten zur Verfügung stehen. Dazu passt, dass es die Bundesregierung 2011 abgelehnt hat, einen von der EU geforderten Aktionsplan zur Roma-Inklusion zu erstellen. Man sei auf einem guten Weg, ein derartiger Plan sei deshalb unnötig, meldete man nach Brüssel. Deutschland, das andere Staaten gerne dazu auffordert, die Hausaufgaben zu machen, hat also selbst geschludert. Eingestehen will das niemand. Einfacher ist es doch, Angst davor zu schüren, dass schon bald massenweise EU-Bürger nach Deutschland kommen, um Hartz IV zu beantragen.

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