Mittelbayerische Zeitung: Die USA heilen sich selbst - Mit der Eröffnung des Museums zu 9/11 bricht die Nation vom "Ground Zero" in eine neue Zukunft auf. Von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Die Einweihung des "Nationalen Museums zum 11. September" durch US-Präsident Obama signalisiert einen geschichtsbewussten Aufbruch in eine neue Zukunft. Nicht zufällig geht dieser einher mit der bevorstehenden Vollendung des 1776 Fuß hohen "One World Trade Center", das als neues Wahrzeichen New Yorks die eingestürzten Zwillingstürme ersetzt. Sowohl die Pläne für das Museum als auch den Wolkenkratzer waren von leidenschaftlichen Kontroversen begleitet, die beide Projekte immer wieder aufhielten. Dass es seit den Terroranschlägen an dem sonnigen Dienstagmorgen im September fast dreizehn Jahre dauerte, diesen Meilenstein zu erreichen, hat viele frustriert. Zumal Geduld nicht gerade zu den typischen Eigenschaften der Amerikaner zählt. Statt tatenkräftig die Leere zu füllen, starrte die Nation über Jahre auf eine offene Baugrube. Aus praktischer Notwendigkeit, aber auch ein wenig schamhaft umgibt seit Ende der Aufräumarbeiten ein Zaun "Ground Zero". Die klaffende Wunde im Herzen Manhattans geriet so zum Symbol der Seelenlage einer Nation, die Zeit brauchte, das Trauma des 11. September zu verarbeiten. Die fast 3000 Toten des World Trade Centers stehen für den schlimmsten Gewaltakt auf amerikanischem Boden seit den blutigen Metzeleien des Bürgerkriegs. Und sie zählen für so viel mehr, weil weltweit rund zwei Milliarden Menschen sahen, wie sie ums Leben kamen, als das Symbol amerikanischer Finanzmacht vor ihren Augen pulverisierte. Dem Schock angesichts des Grauens folgte die Wut; dem Wunsch nach Rache an al-Qaida und deren Beschützern in Afghanistan, die Hybris des Kriegs in Irak. Statt sie ins Museum zu stecken, schrieben die USA die Geschichte des 11. September fort. Mit dem Ende der Kriege in Irak und Afghanistan ist dieses Kapitel nicht abgeschlossen, steht aber vor einer Zäsur. Unbewusst folgten die Wiederaufbau-Arbeiten an "Ground Zero" über die Jahre diesem Rhythmus. Die Angehörigen der Opfer, die Nachbarn in New York, die Nation, aber auch die Bürger der Welt brauchten Zeit, den 11. September Geschichte werden zu lassen. Was etwas anderes ist, als die Ereignisse im Museum verschwinden zu lassen. So gesehen ist der Begriff für sich genommen nicht ganz trennscharf. Das "Nationale Museum zum 11. September" ist mehr als das. Es ist ein Ort der Erinnerung, des Gedenkens, der Reflexion, des Lernens und vor allem der Emotionen. Der Abstieg über eine Rampe in die Tiefen "Ground Zeros" macht den Besuch zum Pilgergang an den Ursprung unserer kollektiven Erfahrung. Dass er sich unter den Granitbecken des 9-11-Denkmals danach in verschiedene Richtungen gabelt, steht für seine Unabgeschlossenheit. Das Gegenstück ist der nicht minder symbolische Aufstieg des lichtdurchfluteten "One World Trade Centers", das heute schon die Skyline über Manhattan prägt. Es strebt nicht gerade auf, sondern windet sich nach oben zum höchsten Gebäude der westlichen Hemisphäre. Ausdruck einer wiedergefundenen Leichtigkeit, die sich ihrer Herkunft bewusst ist. Davon zeugen die bombensicheren Stahlanker und Betonmauern. In den kommenden Tagen werden die ersten Elemente des Zaunes demontiert, der Museum und "One World Trade Center" trennen. Die letzten werden verschwinden, wenn im November die ersten Mieter in den Wolkenkratzer einziehen. Das ist gewissermaßen der Moment, wenn das Pflaster von der Wunde gezogen wird. Die Eröffnung des Museums am 21. Mai dürfte dazu beitragen, den Heilprozess zu beschleunigen, der es erlaubt, von "Ground Zero" in eine neue Zukunft aufzubrechen.
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