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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Erdogan/EU: Erpresser Erdogan von Stefan Stark

Regensburg (ots)

Die Bundeskanzlerin beweist zuweilen einen Hang zum Masochismus: Im Umgang mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sind ihrer Leidensfähigkeit offenbar keine Grenzen gesetzt. Der Autokrat aus Ankara erlaubt sich immer größere Unverfrorenheiten gegenüber Deutschland - und Angela Merkel schweigt. Erstaunt fragt man sich, was sich Erdogan noch alles herausnehmen darf, bis von der Regierungschefin höchstpersönlich energischer Widerspruch kommt. Erpressung unter Freunden - das geht gar nicht, müsste man Erdogan nach seiner Drohung entgegenrufen, den Flüchtlingspakt aufzukündigen. Doch Merkel übt sich nach wie vor lieber in diplomatischer Zurückhaltung, weil sie den Asyl-Deal mit der Türkei nicht riskieren will. Letztlich hat sie sich selbst erpressbar gemacht, als sie das Abkommen mit einem unberechenbaren Partner aushandelte. Dieser fühlt sich nun ermuntert, die Kanzlerin vorzuführen und die Grenzen auszutesten. Denn das Ultimatum aus dem türkischen Präsidentenpalast bildet nur den Gipfel in einer Reihe von Provokationen und Dreistigkeiten. Da machte Erdogan die Stadt Köln am vergangenen Sonntag zum Aufmarschgebiet für seine Anhänger - geschützt von einem riesigen Polizeiaufgebot. Und der türkischen Regierung fällt nichts anderes ein, als von einer "Schande für die Demokratie" zu sprechen - weil Erdogan nicht per Live-Zuschaltung zu den Demonstranten sprechen durfte. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Kundgebung in Köln ist eine Lektion in Sachen Meinungs- und Versammlungsfreiheit an Ankara. Hier sei die hypothetische Frage erlaubt, ob die türkische Regierung eine Videoeinspielung der Kanzlerin zu einer Kundgebung für Menschenrechte in Istanbul gutheißen würde. Erdogan selbst verbittet sich jede Kritik von außen an seinen Säuberungsaktionen als dreiste Einmischung in innere Angelegenheiten. Das hindert ihn nicht daran, innertürkische Konflikte auch in Deutschland auszutragen. Dann lässt der Möchtegern-Sultan noch das höchste deutsche Gericht von seinem Sprecher rüffeln, weil es die Live-Einspielung seiner Rede untersagte. Und nach wie vor maßt sich Erdogan im Satirestreit um Jan Böhmermann und Co. die Deutungshoheit über das deutsche Grundgesetz an. Dem Herren in Ankara sei hier gesagt: Das deutsche Staatsoberhaupt heißt Joachim Gauck, nicht Recep Tayyip Erdogan. Über Recht und Gesetz wacht das Bundesverfassungsgericht, nicht die gleichgeschaltete türkische Justiz. Unsere Demokratie muss vieles ertragen, nicht aber die Belehrungen eines Antidemokraten. Mit seinem außenpolitischen Macho-Gehabe befördert Erdogan nicht nur das deutsch-türkische Verhältnis auf einen Tiefpunkt. Gleichzeitig führt er sein Land immer weiter weg von einer EU-Mitgliedschaft. Die große Frage lautet nun, ob Erdogan mit seinen zunehmenden Allmachtsfantasien und den ganzen Verschwörungstheorien nach dem gescheiterten Militärputsch der politische Pragmatismus abhandenkam, der ihn in den vergangenen Jahren auszeichnete. Falls Erdogan den Flüchtlingsdeal wirklich platzen ließe, würde er sich damit letztlich selbst schaden. Denn die Türkei braucht Geld, sie will mit der EU Handel treiben und über kurz oder lang die Visafreiheit für ihre Bürger durchsetzen. Es liegt allein an Erdogan, die Voraussetzungen für den Wegfall der Visapflicht zu schaffen. Und es liegt an der EU und an Deutschland, der Regierung in Ankara einen Preis für Erpressungsversuche und Willkürherrschaft zu nennen: Sanktionen statt Visafreiheit. Eine solche Drohung würde der Präsident in seinem Protzpalast verstehen.

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