Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu EU-Verteidigungspolitik/Trump: Warten auf Trump von Daniela Weingärtner
Regensburg (ots)
Wenn Donald Trump seinen Worten Taten folgen lässt, wird er sich noch mehr als die bisherige US-Administration aus den Krisenherden Europas und seiner Nachbarn zurückziehen. Das sei nun aber endlich der Moment, wo sich Europa in Verteidigungsfragen zusammenraufen müsse, erklären uns unisono die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ihre europäische Kollegin Federica Mogherini und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Bei einer Rede vergangene Woche in Berlin nahm er sogar das Tabuwort "europäische Armee" in den Mund. Die will nun wirklich keiner. Für viele EU-Bürger ist die Vorstellung, dass ihre Soldaten unter EU-Flagge und Brüsseler Oberkommando in einen Krieg geschickt werden könnten, ein Alptraum. In Frankreich wurde 2005 von linken Parteien mit dem Schreckgespenst einer EU-Armee gegen die geplante europäische Verfassung mobil gemacht. Die Begeisterung für das Projekt dürfte seither nicht gestiegen sein. Und in Polen und Ungarn, wo man sich schon jetzt unter Brüsseler Diktat fremdbestimmt wähnt, wäre das Projekt vielleicht sogar ein Austrittsgrund. Einerseits. Andererseits müssen sich die Bürger der baltischen Staaten, sowie Polens, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns darauf einstellen, dass die USA nicht länger Schutzmacht für sie spielen wollen. Noch ist völlig unklar, welchen außenpolitischen Kurs Trump verfolgen wird. Zahlreiche Äußerungen aus dem Wahlkampf lassen aber vermuten, dass er die historisch begründete Panik der Osteuropäer und der Finnen vor russischen Expansionsansprüchen nicht nachvollziehen kann. Politiker, die die Annektion der Krim nicht so dramatisch finden, weil die Menschen dort ja eh lieber zu Russland gehören möchten, bereiten vielen Osteuropäern Alpträume. Zwar wird im polnischen Glückwunschschreiben an den Wahlgewinner an die im Juli beschlossene Aufrüstung der Ostflanke der Nato erinnert. Doch selbst wenn Trump zu Ohren gekommen sein sollte, dass Polen brav die von Nato-Mitgliedern geforderten zwei Prozent BIP in seinen Verteidigungshaushalt steckt, ist damit beherztes künftiges US-Engagement in Osteuropa noch lange nicht garantiert. Geht es nach Trump, sollen alle mehr zahlen. Deutschlands Rüstungsetat stagniert seit Jahren bei 1,2 Prozent, was zwar viele Bundesbürger für völlig ausreichend halten, der künftige US-Präsident aber nicht. So gesehen ist jetzt vielleicht wirklich ein günstiger Moment gekommen, um das Thema europäische Verteidigungsfähigkeit aus der Versenkung zu holen. Eine EU-Armee ist Zukunftsmusik, auch auf die Nato will niemand verzichten. Aber die Europäer sollten überlegen, ob sie ihre zahlreichen friedenssichernden Missionen, ihr Engagement gegen Piraten am Horn von Afrika und gegen Schlepper vor der libyschen Küste nicht besser koordinieren und vorhandene militärische Ausrüstung gemeinsam wirkungsvoller einsetzen könnten. Ein EU-Hauptquartier, wie es von den Briten immer vehement bekämpft worden war, rückt mit deren Austritt in den Bereich des Realisierbaren. Doch eine Rüstungsagentur, die sicherstellen soll, dass nationale Neuanschaffungen mit Transport- und Waffensystemen anderer EU-Staaten kombinierbar sind, gibt es seit 2004. An den Alleingängen hat es wenig geändert. Multinationale Eingreiftruppen existieren seit 2005. Zum Einsatz kamen sie bislang noch nie. Die kürzlich bekannt gewordene Entscheidung der polnischen Regierung, statt Hubschraubern der europäischen Firma Airbus doch lieber Black Hawks aus amerikanischer Produktion zu kaufen, lässt wenig Hoffnung aufkommen, dass nun ein verteidigungspolitischer Ruck durch Europa geht. Da warten wir doch lieber ab, ob Herr Trump das alles vielleicht gar nicht so gemeint hat.
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