Mittelbayerische Zeitung: Zuckerbrot und Peitsche
Kanzlerin und Länderchefs sind sich einig, den Druck auf ausreiseunwillige Asylbewerber zu erhöhen.
Regensburg (ots)
Die Willkommenskultur, die im Spätsommer 2015 Tausende von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak auf Bahnhöfen entgegenschlug, war gestern. Ernüchterung ist eingekehrt. Und die Realität. Bund und Ländern basteln an einer "Abschiebekultur". Dass das Land nicht Hunderttausende Menschen aufnehmen kann, die - noch dazu wochenlang ohne Kontrollen - nach Deutschland strömten, hatte sich bald nach der anfänglichen Euphorie über die Neuankömmlinge gezeigt. Auch das größte und wohlhabendste Land in der EU kann das Flüchtlingsproblem nicht alleine schultern. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Länderchefs haben gestern lange beraten, wie sie dem Problem unzureichender Abschiebungen beikommen können. Hunderttausende Ausländer sind eigentlich ausreisepflichtig, doch es hapert aus vielerlei Gründen bei ihrer Abschiebung. Zwar sind sich im Grundsatz alle einig, dass abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer zurück geschickt werden müssen. Doch der Teufel steckt im Detail. Das Problem ist, erst Recht im Jahr der Bundestagswahl, höchstbrisant. Zusätzliches Feuer kam in die Debatte nach dem blutigen Lkw-Anschlag eines Asylbewerbers aus Tunesien auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Der Mann war zwar als islamistischer Gefährder eingestuft. Doch er konnte, begünstigt durch eine Reihe von Schlampereien mehrerer Behörden, durch Deutschland reisen wie er wollte. Der Attentäter saß bereits zwei Tage in Abschiebehaft, wurde jedoch wieder freigelassen. Ein solches verhängnisvolles Versagen von Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern darf sich nicht wiederholen. Der jetzige 16-Punkte-Plan, von dem die Kanzlerin die Länderchefs zu überzeugen versuchte, setzt sowohl auf Zuckerbrot als auch auf Peitsche. Mit finanziellen Anreizen sollen abgelehnte Asylbewerber zur freiwilligen Rückkehr in ihre Heimat bewegt werden. Mehrere Zehntausend haben bereits den freiwilligen Weg zurück genommen. Rund 25 000 Abgelehnte mussten allerdings auch abgeschoben werden. Das sind, gemessen an den absoluten Zahlen rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber, zu wenige. Deshalb nun die "nationale Kraftanstrengung", die Bundesinnenminister Thomas de Maizière ausgerufen hat. Die Krux dabei ist, dass sich zahlreiche Herkunftsländer von Flüchtlingen - oder eben denen, die sich als solche ausgeben - ihre Staatsbürger nicht wieder aufnehmen wollen. Mit West-Balkanstaaten hat Berlin Rücknahmeabkommen schließen können. Mit anderen Krisenstaaten, vor allem in Nordafrika, gibt es jedoch keine Verträge. Und Abschiebungen ins vom Bürgerkrieg geschüttelte Afghanistan sind erst recht problematisch. Die islamistischen Taliban gewinnen am Hindukusch weiter an Boden. Gegen zwei Sammelabschiebungen von mehreren Dutzend Afghanen, die meisten von ihnen lebten in Bayern, gab es scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen und Opposition. Eine "Abschiebungsmaschinerie" wurde beklagt. Das geht allerdings zu weit. Doch immer wieder sorgen spektakuläre Einzelfälle von Abschiebungen gut integrierter Ausländer, gerade aus Afghanistan, für Zweifel an der härteren Abschiebepraxis. Kirchengemeinden, die ihre Gotteshäuser für Asylsuchende zur Verfügung stellen, leisten zivilen Widerstand. Dennoch entziehen sich abgelehnte Asylbewerber durch allerlei Tricks der Abschiebung. Ob die im Behördendeutsch "Bundesausreisezentren" genannten Lager wirklich Abschiebungen wirkungsvoll voranbringen können, ist fraglich. Mit Blick auf die fremdenfeindliche AfD wollen sich Union und SPD nun allerdings keine Blöße geben.
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